Der Anwalt ist
Vater, großer Bruder, St. Georg, der Drachentöter, Therapeut. Diese Multifunktion ist
berufsständisch nicht vorgesehen, aber Anwälte werden mit Rollenerwartungen
konfrontiert, die weit über die juristische Fallbehandlung hinausgehen. Mandanten suchen
regelmäßig Anwälte in Konfliktsituationen auf. Psychisch außergewöhnliche Belastungen
sind mannigfaltig. Verfeindete Parteien treffen aufeinander. Unter den Augen von Dritten,
Gerichten, Staat und Rechtsanwälten wird gestritten. Die Streitkultur, so
es den je eine gab, wenn es wirklich eng wurde, wird schnell zur
Unkultur. Sachliche und rechtliche Rationalität des Verfahrens bleiben
mitunter auf der
Strecke. Der Mandant steht unter dem doppelten Druck, dass ihm besondere
Verhaltenserwartungen begegnen und er zugleich seine ideelle oder wirtschaftliche Interessen
realisieren will, die existenziell nachhaltig sein mögen. Der Mandant versteht die prozedurale Behandlung der Verfahren
regelmäßig nur teilweise.
Die Gerichtssprache ist zwar deutsch, aber
Juristendeutsch ist eine Fremdsprache, die zwar nicht von Fremdwörtern
lebt, aber von Bedeutungen, die sich nur in komplexen Verweisungssystemen
erschließen und einer oft bizarren Syntax. In solchen Situationen wird der Anwalt zum
Übersetzer. Jeder Anwalt kennt den Mandanten, der in der Verhandlung außer Fassung
gerät. Schreiende oder tobende Mandanten sind wenig geeignet, die Überzeugung des
Gerichts positiv zu beeinflussen. In einer Verhandlung über Nebenkostenabrechnung droht
der Beklagte lauthals, er werde sich umbringen und sofort aus dem Fenster springen, wenn er verurteilt werde. Das beeindruckt
keinen Richter, könnte aber geeignet sein, sachfremde Erwägungen nolens
volens in eine Entscheidung einfließen zu lassen.
In der Hitze solcher Gefechte erfolgen Äußerungen, die Positionen schwer
beschädigen können. Nicht immer gelingt es Mandanten im Vorfeld zu beeinflussen, sich
geschickt zu inszenieren. In einem Fall begann der Mandant die Richterin zu duzen:
"Wenn du mich hier verurteilst, kann ich kein Jura-Examen mehr machen!"
Richterin:" Wir sitzen hier, damit Leute wie Sie keine Juristen werden." Obwohl
in diesem Verfahren eine Einstellung in Betracht kam, wurde der Angeklagte empfindlich
verurteilt. Der Richterin wurde eine nachhaltige Empfindlichkeit gegenüber aggressiven
Angeklagten nachgesagt!
Demnächst mehr ...e
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