Im
Einzelnen: In der Verwaltungsrechtssache - Streitgegenstand: Widerruf des
Prozessvergleiches vom 24. April 2001 - hier: Fortführung der
Verfahren 13 A 3950/99 und 13 A 595/01 - hat das Verwaltungsgericht
Oldenburg - 13. Kammer - am 26. Juni 2001 für Recht erkannt: Der Antrag
auf Fortsetzung der Verfahren 13 A
3950/99 und 13 A 595/01 wird abgelehnt. Es wird festgestellt, dass die
vorbezeichneten Verfahren mit Prozessvergleich vom 24. April 2001 wirksam
beendet sind...
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt die Fortführung der im Rubrum bezeichneten und vom
Gericht als beendet betrachteten Verfahren. Im gerichtlichen Erörterungstermin
vom 24. April 2001 unter anderem im Verfahren 13 B 715/01, in dem die Klägerin
anwaltlich vertreten war, schlossen die Beteiligten den folgenden Prozessvergleich:
1.
Der Antragsgegner verpflichtet sich, der Antragstellerin und ihrem Kind M.
beginnend ab 1. Mai 2001 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung
des Regelsatzes für einen Haushaltsvorstand, unter Berücksichtigung des
Mehrbedarfs für Alleinerziehende und unter Berücksichtigung von
Unterkunftskosten in einer Höhe von 300,-- DM monatlich (Grundmiete plus
Nebenkosten plus Heizkosten, alles inklusive) zu gewähren.... 3. Die
Beteiligten sind sich darüber einig, dass mit der Verpflichtung des
Antragsgegners zu Ziffer 1 des Vergleichstextes sämtliche im vorliegenden
Verfahren sowie in den folgenden Verfahren geltend gemachten Ansprüche
und Begehren ihre Erledigung finden und dass insoweit auch jeweils die außergerichtlichen
Kosten der im folgenden noch zu bezeichnenden Verfahren gegeneinander
aufgehoben sind...4. Die Beteiligten sind sich ferner darüber einig, dass
für die Zukunft eine einvernehmliche Regelung der noch in Zukunft geltend
zu machenden Ansprüche der Antragstellerin und ihres Sohnes M. erfolgen
soll. ... Der Vergleichstext wurde nach
dem Protokoll des Erörterungstermins „wiedervorgespielt und von den
Beteiligtenvertretern und der Antragstellerin Frau K. persönlich ausdrücklich
genehmigt."
Mit
Schriftsatz vom 24. April 2001 im Verfahren 13 B 715/01 erklärte die Klägerin,
den von „meinem Rechtsanwalt, Herrn H., vorgeschlagenen Vergleich nicht
annehmen" zu werden. Dort heißt es, ihr sei sehr wohl bekannt, dass
der Vergleich zur Befriedung beitragen solle, diese könne jedoch nicht
auf diesem Wege erreicht werden, da ein reines Willkürverhalten des
Beklagten legalisiert würde. Sie könne ihrerseits einen
Vergleichsvorschlag allein für das Verfahrens 13 B 715/01 unterbreiten,
alle anderen bei Gericht anhängigen Verfahren blieben von diesem
Vergleichsvorschlag jedoch unberührt. Auf diesen Schriftsatz hat das
Gericht mit Verfügung vom 30. April 2001 den Hinweis gegeben, dass die Klägerin
dem Vergleich bereits im Termin zugestimmt habe und nur der Beklagte
(einseitig) bis zum 9. Mai 2001 noch widerrufen könne. Mit Schriftsatz
vom 8. Mai 2001, eingegangen bei Gericht am selben Tage, teilte der
Beklagte mit, dass er von dem unter Ziffer 6 des Prozessvergleichs
vereinbarten Widerrufsvorbehalt keinen Gebrauch machen werde. Die Klägerin
hat mit Schriftsatz vom 9. Mai 2001, eingegangen bei Gericht am 14. Mai
2001, - sinngemäß - die Fortführung der
o.a. Verfahren begehrt. Sie macht
geltend: Mit der Einbeziehung der Verfahren 13 A 3950/99 und 13 A 595/01
sei sie arglistig getäuscht
worden. Diese Verfahren seien auf der vorab übersandten Tagesordnung des
Erörterungstermins nicht aufgeführt gewesen. Sie habe sich insoweit
nicht vorbereitet. Zudem sei bereits am 13. Juli 1999 in dem älteren
Hauptsacheverfahren ein Vergleichsvorschlag vom Berichterstatter gemacht,
aber von ihr abgelehnt worden. Nach Vergleichsabschluss habe sie den
Vergleich hier sofort schriftlich widerrufen. Der Berichterstatter habe
die bezeichneten Hauptsacheverfahren absichtlich eingeführt, „nur um
die Sachen vom Tisch bekommen". Im übrigen habe auch eine Erörterung
zu diesen Verfahren nicht stattgefunden, so dass sie nicht habe erkennen können,
um welche Verfahren es sich handele. Ihr Widerruf sei unmittelbar erfolgt,
nachdem ihr ihr Irrtum aufgefallen sei. Mit ergänzendem Schriftsatz vom
11. Mai 2001 macht die Klägerin ferner geltend, eine Zustimmung ihres im
Erörterungstermin als Beistand anwesenden Vaters H. K. zum Vergleich habe
nicht vorgelegen, obwohl dieser Vergleich in seine Rechte eingreife. Die
beiden Hauptsacheverfahren seien mit keinem Wort erörtert worden - es sei
lediglich eine Rechtsproblematik mit dem im Termin ebenfalls für die Klägerin
anwesenden Herrn Rechtsanwalt H. angesprochen worden. Sie habe nicht
erkennen können, wozu sie ihre Zustimmung erteile. Im übrigen habe sie
nachweislich den Vergleich widerrufen, bevor der Beklagte seine Zustimmung
abgegeben habe. Mithin seien alle Verfahren aus dem Erörterungstermin vom
24. April 2001 weiter anhängig, ebenso wie die Verwaltungs- und
Widerspruchsverfahren bei dem Beklagten.
Die
Klägerin beantragt sinngemäß, die o.a. Verfahren fortzusetzen und über
ihre dort erhobenen Klagen zu entscheiden.
Der
Beklagte beantragt, festzustellen, dass die o.a. Verfahren wirksam durch
den Prozessvergleich beendet worden sind, und Herrn H. K. im vorliegenden
Verfahren als Beistand zurückzuweisen und ihm den weiteren Vortrag zu
untersagen.
Der
Beklagte macht geltend, es bestünden keine Zweifel an der Wirksamkeit des
Prozessvergleichs. Die Verfahren 13 A 595/01 und 13 A 3950/99 seien im Erörterungstermin
spätestens bei ihrer Einbeziehung in den Vergleich erörtert worden.
Andernfalls wäre auch keine Festsetzung des Gegenstandswertes erfolgt. Es
komme nicht darauf an, inwieweit die Klägerin persönlich den Inhalt des
Vergleiches habe nachvollziehen können, da die Zustimmung zum
Prozessvergleich von Herrn Rechtsanwalt H. als ihrem Bevollmächtigten
abgegeben worden sei. Im übrigen könne ein etwaiger Widerruf durch die
Klägerin keine Rechtswirkung entfalten, da im Vergleich ein
Widerrufsvorbehalt nur zugunsten des Beklagten aufgenommen worden sei; für
eine Anfechtung wegen Irrtums sei hier kein Raum. Ferner sei Herr H. K.
als Beistand auszuschließen, da er die Bedeutung des von Herrn
Rechtsanwalt H. für die Klägerin abgeschlossenen Vergleiches nicht
erfasse und im übrigen zu einer sachgerechten Vertretung nicht in der
Lage sei...
|
II.
Der Antrag auf Fortführung der Verfahren und Entscheidung über die
Klagen, über den das Gericht nach Anhörung der Beteiligten durch
Gerichtsbescheid und Übertragungsbeschluss der Kammer durch den
Berichterstatter als Einzelrichter entscheidet, bleibt
ohne Erfolg; die Verfahren 13 A
3950/99 und 13 A 595/01 sind durch den Prozessvergleich vom 24. April 2001
wirksam beendet.
Der
Prozessvergleich
nach § 106 VwGO hat eine „Doppelnatur", die zum einen in dem Wesen
eines öffentlich-rechtlichen Vertrages nach § 55 VwVfG (bzw. hier: § 54
SGB X), mit dem die materiell-rechtlichen Streitfragen durch Vereinbarung
geregelt werden, zu sehen ist, zum anderen darin, dass der Vergleich
Prozesshandlung ist, da mit ihm das gerichtliche Verfahren unmittelbar
beendet wird. Wegen seiner Doppelnatur kann der Prozessvergleich unter
Bedingungen abgeschlossen werden, so auch wie vielfach üblich (hier
allerdings nur zugunsten des Beklagten, nicht für die Klägerin) unter
dem Vorbehalt des Widerrufs; das bedeutet, dass er zwar mit Abschluss
wirksam wird, dass von ihm jedoch innerhalb einer bestimmten Frist noch
zurückgetreten werden kann. Die Doppelnatur der zu einem Prozessvergleich
führenden Erklärungen der Beteiligten bei einem Abschluss vor Gericht -
wie hier - nach § 106 Satz 1 VwGO tritt nach außen hin nicht besonders
hervor, da die Erklärungen vielmehr uno actu
beide Naturen aufweisen,
ohne dass die Beteiligten dieses besonders zu erklären hätten (Nds. OVG,
ebenda).
Das
Bundesverwaltungsgericht hat zum Prozessvergleich und seinen Wirkungen -
insbesondere zur ‚Doppelnatur‘ - ausgeführt (BVerwG, Beschluss vom
27. Oktober 1993 - 4 B 175/93 -, NJW 1994, 2306): „Mit der Frage, ob sich ein verwaltungsgerichtlicher Prozessvergleich in
einem Rechtsgeschäft ausschließlich prozessualer Art bzw. prozessualer
und materiellrechtlicher Natur erschöpft oder aus zwei Rechtsgeschäften,
nämlich einem außergerichtlichen Vergleichsvertrag und einer Prozesserklärung,
zusammensetzt, legt die Beschwerde keinen Klärungsbedarf offen. Richtig
ist, dass diese Frage in der Literatur kontrovers behandelt wird. In der
Rechtsprechung besteht in diesem Punkte indes Einigkeit zwischen den
obersten Gerichten aller Gerichtszweige mit Ausnahme der
Finanzgerichtsbarkeit, die insoweit eine Sonderstellung einnimmt, weil die
Finanzgerichtsordnung eine Prozessbeendigung durch Vergleich nicht
vorsieht. Das Bundesverwaltungsgericht ist in der Vergangenheit der
Ansicht, dass der Prozessvergleich als bloß materiellrechtlicher Vertrag
zu qualifizieren ist, bei dem die Erledigung des Rechtsstreits nicht zum
Inhalt, sondern lediglich zu den Folgewirkungen der Vereinbarung gehört,
ebenso entgegengetreten wie der Auffassung, dass es sich um eine reine Prozesshandlung
ohne materiellrechtliche Bedeutung handelt. Es hat auch der These vom
Doppeltatbestand eine Absage erteilt, die im Prozessvergleich die
Zusammenfassung eines prozessualen und eines materiellrechtlichen
Vertrages in einem Akt sieht. Statt dessen hat es sich von Anfang an der
Lehre von der Doppelnatur des gerichtlichen Vergleichs angeschlossen.
Danach ist der Prozessvergleich nach § 106 VwGO sowohl eine Prozesshandlung,
deren Wirksamkeit sich nach den Grundsätzen des Prozessrechts richtet,
als auch ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, für den die Rechtsregeln
des materiellen Rechts gelten. Das bedeutet aber nicht, dass er in eine Prozesshandlung
und in ein Rechtsgeschäft aufzuspalten ist, die getrennt nebeneinander
stehen. Vielmehr bildet er eine Einheit, die sich darin äußert, dass
zwischen dem prozessualen und dem materiellrechtlichen Teil ein Abhängigkeitsverhältnis
besteht. Als Prozesshandlung führt er zur Prozess-, als
materiellrechtlicher Vertrag zur Streitbeendigung (So BVerwG). Die Beschwerde zeigt keine Gründe
auf, die es rechtfertigen könnten, von dieser gefestigten Spruchpraxis
abzugehen. Anlass hierzu besteht um so weniger, als sich das
Bundesverwaltungsgericht mit seiner Judikatur in Übereinstimmung mit der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Vgl. BGH), des
Bundesarbeitsgerichts (vgl. Urteile vom 30. Mai 1956 - 2 AZR 178/54 - BAGE
3, 43, vom 9. Mai 1957 - 2 AZR 67/55 - BAGE 4, 84 und vom 16. März 1961 -
5 AZR 536/59 - JZ 1961, 452) und des Bundessozialgerichts (vgl. Urteile
vom 26. April 1963 - 2 RU 228/59 - BSGE 19, 112 und vom 17. Mai 1989 - 10
RKg 16/88 - DVBl 1990, 214) befindet. ... Zwangsläufige Folge der
rechtlichen Doppelnatur eines gerichtlichen Vergleichs ist, dass sich der
prozessuale und materiellrechtliche Vertrag in ihrer Wirksamkeit
wechselseitig, wenn auch unterschiedlich, beeinflussen. Ist die
Vergleichsvereinbarung materiell unwirksam, so verliert auch die Prozesshandlung
ihre Wirksamkeit, da sie nur die Begleitform für den materiellrechtlichen
Vergleich ist. Entbehrt der Vergleich der sachlich-rechtlichen Grundlage,
so geht ihm auch die verfahrensrechtliche Wirkung der Prozessbeendigung
ab. Im umgekehrten Fall gilt dies nicht in gleicher Weise. Kommt ein
wirksamer Prozessvergleich wegen eines Verfahrensmangels nicht zustande,
so zieht das nicht ohne weiteres die Ungültigkeit des
materiellrechtlichen Vertrages nach sich. Denn auch ein prozessual
unwirksamer Vergleich kann als materiellrechtliche Vereinbarung eine von
der Rechtsordnung anerkannte Funktion erfüllen..."
In
den Vergleich können auch Ansprüche einbezogen werden, die nicht
Prozessgegenstand gewesen sind; hinsichtlich der Dispositionsbefugnis der
Beteiligten kommt es entscheidend auf den Inhalt des Vergleichs und nicht
auf den Gegenstand der Klage an (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl. 1998,
Rdnr. 1 zu § 106). Nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 106 letzter
Halbsatz VwGO kann der Prozessvergleich wirksam nur geschlossen werden,
wenn die Beteiligten über den Gegenstand der Klage, d.h. über den
Streitgegenstand, verfügen können (Kopp/Schenke, a.a.O., Rdnr. 12 zu §
106). Materiell-rechtlich kann sich der Vergleich auch auf Ansprüche
beziehen, die nicht Gegenstand des Rechtsstreits selber sind
(Kopp/Schenke, a.a.O., Rdnr. 5 zu § 106); zudem können prozessual
- wie hier - mehrere anhängige Verfahren mit erledigt werden (sogenannter
„Gesamtvergleich", Kopp/Schenke, a.a.O., Rdnr. 18 zu § 106).
Gemessen
daran hat der Prozessvergleich vom
24. April 2001 die Hauptsacheverfahren 13 A 3950/99 und 13 A 595/01 wirksam
beendet.
Das
Verwaltungsgericht hat nach Eingang des Schriftsatzes der Klägerin vom 9.
Mai 2001 das vorliegende Verfahren aufgenommen, um über die Wirksamkeit
des Vergleichs zu entscheiden; dieser Schriftsatz erst stellt in Reaktion
auf den vorangegangenen Schriftsatz vom 24. April 2001, die gerichtliche
Verfügung vom 30. April 2001 sowie das Telefonat vom 8. Mai 2001 -
jeweils im Verfahren 13 B 715/01 - klar, dass die Klägerin die Fortführung
der Verfahren verlangt.
Bei
dem - damit vorliegenden - Streit über die Wirksamkeit eines
Prozessvergleiches und zugleich über die Beendigung eines Verfahrens ist
der Antrag, das Verfahren fortzusetzen, der statthafte und zutreffende
Antrag (...), weshalb das Gericht die im o.a. Schriftsatz enthaltenen Wendungen
gem. §§ 86 Abs. 3, 88 VwGO auch in dieser Hinsicht auszulegen hatte;
entsprechend hat auch der Beklagte mit Feststellungsantrag erwidert (vgl.:
Nds. OVG, Urteil vom 22. Oktober 1999 - a.a.O.).
Über
den Antrag ist durch Urteil (bzw.
nach § 84 VwGO - wie hier - durch Gerichtsbescheid)
zu befinden...
Die
Einwände der Klägerin, mit denen sie die Unwirksamkeit des Vergleiches
geltend macht, greifen indessen nicht durch; ihre
Zustimmung zum Vergleich ist wirksam, nicht anfechtbar und kann - schon
wegen Fehlens eines Widerrufsvorbehalts oder sonstiger Vorbehalte zu ihren
Gunsten, auch kommt ein Fortfall der Geschäftsgrundlage nicht in Betracht
- auch nicht ‚widerrufen‘ oder ‚zurückgenommen‘ werden. Dies
ergibt sich aus folgendem:
Prozesserklärungen
- wie auch die Zustimmung zum Prozessvergleich - sind im Interesse der
Rechtssicherheit grundsätzlich nicht
anfechtbar oder widerruflich.
Prozesshandlungen können wegen ihrer prozessualen Gestaltungswirkung und
zum Schutz der Verfahrenslage vor Unsicherheit grundsätzlich
auch nicht wegen Willensmängeln entsprechend §§ 119 ff BGB angefochten
oder widerrufen werden. Ausnahmen
gelten nur für Prozesshandlungen, die durch Drohung, sittenwidrige Täuschung,
unzulässigem Druck u. ä. oder durch unzutreffende Empfehlung oder
Belehrung durch das Gericht herbeigeführt wurden.
Dasselbe gilt für Prozesshandlungen, bei denen Wiederaufnahmegründe
gegeben sind... Eine der genannten Ausnahmen liegt hier nicht vor...
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