Home
Übersicht
| |
In den Fallstricken der
Bioethik
Haltlose Anmerkungen zu einem Begriffshybriden
anlässlich der Exkursionen Nida-Rümelins in das Reich des Klonens
|
k
|
"Die Herstellung und
Vernutzung menschlicher Embryonen als Rohstoff überschreitet eine ethische Grenze",
heißt es in einer Stellungnahme von Experten der Enquête-Kommission des Bundestags mit
dem Titel "Recht und Ethik der modernen Medizin", die die Frankfurter Rundschau
zum Jahresauftakt veröffentlichte. Solche Erklärungen, Warnungen, Gefahren- und
Risikobeschwörungen sind zum Standard bioethischer Beobachtungen geworden, die zwar die
Grenze markieren, aber den dahinter liegenden Bereich nur höchst fragmentarisch zu
konkretisieren vermögen. Der gesellschaftliche Existenzmodus der Bioethik scheint nicht
zuletzt der Appell zu sein, während die Gesellschaft auf universalistische, mithin
endgültige Kategorien hofft.
Nun hat sich der frisch bestallte
Kulturstaatsminister Nida-Rümelin im Berliner "Tagesspiegel" zum brisanten
Thema kategorial geäußert und bereits dieser Umstand verdeutlicht, dass der
gentechnologische Explosivstoff längst die inneren Zirkel der Bioethikkommissionen
verlassen hat und zur drängenden Agenda einer moralisch verunsicherten Gesellschaft und
ihrer Politiker wird. Nida-Rümelin argumentiert "hypothetisch" gegen das Klonen
von Embryonen, weil die gegenwärtige Gesellschaft moralisch unreif sei, um sich diese
Praxis erlauben zu können. Nun haben die uns bekannten historischen Gesellschaften bisher
wenig Zeit darauf verwendet, vor dem Spiel mit dem Feuer erst die moralische Reife
einkehren zu lassen. Aber vielleicht kommt ja diesmal alles anders. Kategoriale Argumente
vermag der praktische Philosoph Nida-Rümelin aber schlussendlich auch nicht zu finden, um
die Vermehrung von Stammzellen zu verbieten. Allein die unhintergehbare Menschenwürde
könne einer solchen Biopraxis Einhalt gebieten, aber diese sei eben nicht betroffen:
"Die Achtung der Menschenwürde ist dort angebracht, wo die Voraussetzungen erfüllt
sind, dass ein menschliches Wesen entwürdigt werde, ihm seine Selbstachtung genommen
werden kann".
Da nun ein Embryo nicht der Selbstachtung
fähig sei, könne das Klonen eines Embryos auch nicht seine Menschenwürde beschädigen.
Der kollektive Aufschrei ob dieser Äußerung verwundert wenig. Sofort wurde Nida-Rümelin
von Ärzteverbänden, Juristen und Deutscher Bischofskonferenz abgewatscht und
Oppositionspolitiker bescheinigten dem kultivierten Feingeist gar, eine "Kultur des
Todes" zu begründen, ja sich zum "Steigbügelhalter von Eugenikern und
Gen-Euphorikern" zu machen. Auch Nida-Rümelins Nachjustierung seiner
biophilosophischen Keckheit half da wenig. Er habe doch lediglich haltbare Einwände gegen
das therapeutische Klonen gesucht, die eben nicht in der Begründung gefunden werden
könnten, Embryonen seien bereits Träger menschlicher Würde. Anderenfalls wäre ja auch
die Regelung straffreier Abtreibung in Deutschland mit legalisiertem Mord gleichzusetzen.
Nida-Rümelins Versuch, sich im Kultursalon
als Biosoph vorzustellen, mag als gescheitert angesehen werden. Indes hat aber auch der im
"richtigen Lager" stehende Ludger Honnefelder wohl unangefochten die
Selbstbestimmung - neben der Bindung an einen Krankheitsbegriff - als notwendige
Grenzlegitimation der Gentechnologie benannt. Die Ineinssetzung von Menschenwürde und
Selbstachtung trifft wohl den Regelfall, eine kategorial unverbrüchliche Beziehung gehen
beide Momente aber nicht ein. Eine kasuistisch befriedigende Ethik, die allen
Grenzzuständen des Menschlichen gerecht wird, bleibt auf der Strecke. Menschen, denen
etwa die Selbstachtung auf Grund von Krankheit und anderen Widrigkeiten abhanden kommt
oder nicht mehr bewusst ist, sind nicht weniger schützenswert. Nida-Rümelins Argument
ist mithin töricht, weil es politisch nach Selektion riecht und im deutschen
Diskursbetrieb sofort dahinter das Schreckgespenst der "Rampe" aufscheint - auch
wenn die Anfeindungen gegenüber dem Kulturstaatsminister, der selbst persönlich
unverdächtig ist, ihrerseits nicht den Geist atmen, dem sie vordergründig zu folgen
scheinen. Es könnte, mit Niklas Luhmann gesprochen, wohl so sein, dass die Gesellschaft
sich unter dem Namen Ethik ein Beruhigungsmittel verschreibt, während die Moralisten
bereits Amok laufen oder sich jedenfalls überstimuliert nicht auf den Linien bewegen, auf
denen Verhalten zur Problemlösung beitragen könnte.
|
Of Mice and Men:
Therapeutisches Klonen
Das therapeutische Klonen ist denen ein
Prinzip Hoffnung, die glauben, dass Stammzellen Patienten eingepflanzt werden können, die
anderenfalls mit irreparabel lädierten Körperfunktionen leben müssten. Stammzellen
übernehmen dabei die Rolle des Jokers, werden zu Ersatzteillagern, die alle Gewebetypen
des Körpers nachbilden können. Ob das, was bereits bei Mäusen funktionierte, auch beim
Menschen gelingt, ist indes offen. Hier setzen die Kritiker ein, die das Prinzip Hoffnung
verwerfen, weil die angekündigten Effekte rein spekulativer Natur seien. Daher sei die
wissenschaftliche Grundlage für eine angemessene Nutzen-Risiken-Abwägung nicht gegeben.
Wer das Argument - isoliert betrachtet - ernst nimmt, muss aber schließlich jedes
Forschungsinteresse zurückweisen, da das Beschreiten von Irrwegen und Seitenwegen nicht
nur das Forschungsparadigma selbst erfüllt, sondern risikoarme Forschungszweige sich,
evolutionär betrachtet, immer weiter reduzieren. Die eingangs genannte Expertenkommission
arbeitet zudem mit dem typischen "slippery slope"-Weiterungsargument: Die
Technologie, die im Falle des so genannten therapeutischen Klonens zum Einsatz kommt,
könne auch für das reproduktive Klonen verwendet werden, d.h., um eine genetische Kopie
eines Menschen herzustellen. Jede Forschung zur Verbesserung des "therapeutischen
Klonens" rücke daher das "reproduktive Klonen", das von niemandem
politisch gewollt wird und das ethisch nicht gerechtfertigt werden könne, einen Schritt
näher an den Bereich des Machbaren heran.
Zwischen der "Büchse der Pandora"
und dem "Stein des Weisen" sind die Beziehungen aber immer so spannungsgeladen
gewesen, dass die Option friedlicher und humaner Nutzung nie ohne die Aussicht auf
Katastrophen zu haben war. Mächtige Technologie- und Energiepotenziale, vom Feuer bis zur
Kernspaltung, werfen seit je das Problem ihrer Verwendung auf. Gerade an dieser
gefährlichen Schnittstelle liegt eben die Aufgabe der Bioethik, die Demarkationslinien
scharf zu konturieren und nicht den Klon mit dem Bade auszuschütten. Sicher könnte man
den Bau von Motoren verbieten, um Verkehrstote und Fabrikation von Kriegsgerät zu
vermeiden, aber diese exklusive Hypermoral dürfte politisch nicht mehrheitsfähig sein.
Nach den Gegnern ist die für das therapeutische Klonen notwendige Eizellengewinnung zudem
ein invasiver, keineswegs risikofreier Eingriff, der nicht mit einem Nutzen für die
"Spenderinnen" gerechtfertigt werden könne. Frauen würden in die Rolle von
Rohstofflieferantinnen geraten und nicht mehr als Patientin, sondern als
Ressourcenproduzentin wahrgenommen werden. Aber was ist mit Organ- oder Blutspendern, die
ja auch aus anderen als ökonomischen Gründen handeln können, ohne dadurch wider die
kantianische Verordnung nur zum Mittel herabgewürdigt zu werden? Weiterhin spreche die
Verteilung knapper Forschungsgelder gegen das therapeutische Klonen. Eine Reihe von
Krankheiten, die dadurch bekämpft werden sollen, könnten möglicherweise nicht mehr
durch die Erforschung von sozialen und psychischen Faktoren, Verbesserung der
Umweltbedingungen angemessen verfolgt werden.
Schließlich erkennen die Klongegner in der
gezielten Herstellung menschlicher Embryonen zum Zwecke der Verwertung nicht nur eine
"Verrohstofflichung" von Embryonen, sondern auch eine weit reichende und
folgenschwere Veränderung des Selbstverständnisses des Menschen. Hier gründet denn auch
der zentrale Angriff gegen die neuen Ausblicke der Gentechnologie. Die menschliche
Verfassung, die angestammte Körperkonstitution des homo sapiens sapiens, sein über
Jahrtausende relativ stabiles Selbstbild gerät ins Wanken. Aber sind aus einer
menschlichen Verfassung, die bisher als natürlich galt, bioethische Axiome zu gewinnen
oder verstößt nicht dieser Begründungsstrang gegen das Verbot, aus dem Sein ein Sollen
abzuleiten?
|
Wie universal sind die
humanen Wirkstoffe der Bioethik?
Die Erregungen einer um ihre Geltung
kämpfenden Bioethik erscheinen größtenteils selbst als Gebrechlichkeitsymptome einer
Disziplin, die sich zwar kategorial geriert, aber bislang trotz jahrelanger Bemühungen
nicht mit Kriterien aufgewartet hat, die so plausibel gewesen wären, dass Politik und
Gesellschaft praktische Antworten auf dräuende Fragen erhalten hätten. Zu retten an
Nida-Rümelins Auftritt in den Fallstricken der Bioethik ist also weniger seine
philosophische Erkenntnis, als der Versuch, überhaupt nach kategorialen Argumenten zu
fahnden, wo anderenorts nur noch das blanke moralische Entsetzen herrscht. Hinter diesem
Diskurslärm verbirgt sich die relative Sprachlosigkeit angesichts der wachsenden
Menschenherrschaft über die Menschwerdung selbst. Sollten sich wirklich keine
kategorialen Argumente finden lassen, verlöre die Bioethik ihre Daseinsberechtigung - von
ihrer eigenen beflissenen Selbstreproduktion in immer neuen Kommissionen einmal abgesehen.
Seit ihrem Anbeginn prätendierte Bioethik
immer mehr zu sein als eine bloße Ethik. "Biomedical ethics" führt sich wohl
auf den Krebsforscher Potter van Rensselaer zurück, der 1970/71 eine so genannte
"Überlebenswissenschaft" proklamierte, um wissenschaftliches Erkennen und
Handeln mit ethischen Wertvorstellungen kurzzuschließen.
Alle bioethischen Argumentationsmuster folgen
dem vorderhand unverdächtigen Glauben, dass der Mensch im Gegensatz zum Tier moralische
Urteile treffen kann und in der Folge auch die Option hat, danach normativ zu handeln. Die
Begrenzung praktischen Handelns mag wiederum durch soziobiologische oder
verhaltensbedingte Faktoren vorgegeben sein, aber das ändert nichts an der Vorstellung,
dass das biologisch nicht festgelegte Handeln des Menschen durch praktische Vernunft
kompensiert werden kann. Empirisch ist es fraglos richtig, dass moralische Entscheidungen
menschliches Handeln immer angeleitet haben - auch in der frühen Abwehr von
Risikotechnologien etwa anlässlich des "epochalen" Dekrets des 2.
Laterankonzils im Jahre 1139, die Armbrust aus Gründen der Gefährlichkeit im Einsatz
gegen Christen zu ächten. Aber diese moralischen Sicherheiten und
Risikovermeidungsabwägungen führten sich historisch nicht auf Wissenschaft, sondern auf
religiöse oder weltliche Werte zurück, die letztlich nicht weiter aufgeschlüsselt
werden können.
Man könnte mit Gilles Deleuze gar autologisch
provozieren, ob es nicht unmoralisch ist, moralische Prinzipien auf die Moral selbst
anzuwenden. Mit anderen Worten: Man hat eine Moral, muss sich aber vielleicht aus Gründen
philosophischer Redlichkeit der Ethik versagen, diese für letztbegründbar oder gar
universalistisch zu halten. Abgesehen von solchen fundamentalen Einwänden
beginnt das gegenwärtige Dilemma der Bioethik zuvörderst damit, dass sie sich im
Gegensatz zu früheren Positionen einer praktischen Vernunft nicht länger auf einen
relativ unveränderlichen Gegenstandsbereich zurückziehen kann, sondern unter den Druck
einer permanent auf der Gegenwart lastenden Zukunft gerät. Inzwischen wird die
Gesellschaft von immer neuen Eruptionen gentechnologischer Ergebnisse, mehr aber noch von
immer wilderen Extrapolationen zukünftiger Machbarkeiten gejagt.
Weder Immanuels Kants formales Prinzip des
kategorischen Imperativs noch etwa die angeblich diskursiv einlösbare Vernunft aus
Frankfurt können dem Problem der permanenten Nachbesserungsbedürftigkeit ethischer
Aussagen abhelfen. Kants Prinzip bleibt formal unpraktisch, wenn es um ethische
Konkretisierungen, um Kasuistiken wie die des therapeutischen Klonens geht. Der Diskurs
der Weltmoralteilnehmer leidet mehr noch als an dem fluktuierenden Gegenstandsbereich
selbst an seiner eigenen praktischen Nichteinlösbarkeit im globalen Rahmen: Konsens wird
zur moralischen Nacheile einer zerstrittenen Weltgesellschaft, die eben zuletzt bereit
ist, sich an den grünen Tisch zu setzen. Da eine konsensfähige Ethik bisher historisch
nicht einlösbar war und in der irreversiblen Demontage religiöser Sicherheiten auch
immer unwahrscheinlicher wird, überschreitet die Bioethik die Grenzen einer Ethik, um im
Schulterschluss mit der Wissenschaft ihren Geltungsanspruch zu substantiieren.
Gut geeignet, das wuchernde Chaos des
Begriffshybriden "Bioethik" zu charakterisieren, sind etwa die exemplarischen
Ausführungen Rihito Kimuras zur "Metainterdisziplinarität" der Bioethik:
Medizin, Recht, Philosophie, Ethik, Soziologie, Ökonomie, Religion begegnen sich nach
Kimura interaktiv, um die grundsätzlichen und praktischen Probleme aller Aspekte des
Lebens zu lösen. Zudem sollen auch Entprofessionalisierung und Tauglichkeit als
Bürgerrechtsbewegung zu weiteren Hilfskräften der Bioethik erwachsen. Der Widerspruch
ist flagrant: Sind bereits die Einzelwissenschaften in ihren Eigengesetzlichkeiten für
Außenstehende undurchschaubar geworden, muss das umso mehr gelten, wenn eine
populistische Interdisziplinarität gefordert wird, die auf ein ethisches Zusammenwirken
von Einzeldisziplinen vertraut. Vollends aporetisch ist aber der gordische Schlag durch
diese interdisziplinären Verknotungen, wenn zugleich beliebige Gesprächsteilnehmer als
kompetent gelten sollten, bioethische Prinzipien zu entwickeln.
Verkürzt soll die Bioethik nach den
Hoffnungsträgern einer praktischen Vernunft also in die Position des gesellschaftlichen
Superkontrolleurs hineinwachsen, der nicht nur sämtliche Wissenschaften koordiniert,
sondern Risikoentscheidungen so weitreichend plausibilisiert, dass eine
"Weltethik" (Hans Küng) daraus erwächst, die zudem zentral steuerbar ist.
Jede Gesellschaft scheint ihren eigenen Stein
des Weisen zu suchen und um den Preis einer evolutionären Dynamik hin zu verfehlen, die
sich selbst gegenüber der vermeintlich allmächtigen Allianz der Wissenschaften als
resistent erweist. Insofern handelt es sich bei der Bioethik vermutlich selbst um ein
transgenes Produkt aus Naturwissenschaft und Ethik, dessen Konstruktion zu bösen
Vermutungen über seine eigene Überlebensfähigkeit Anlass gibt. Eine Anwartschaft,
gesellschaftliche Funktionen zentral zu steuern, besteht schon deshalb nicht, weil die
jeweiligen Aufgabenzuweisungen und Ausdifferenzierungen gesellschaftlicher
Problemstellungen nicht beliebig kompatibel und überformbar sind. Weder sind
wissenschaftliche Ergebnisse in Ethik übersetzbar noch ist erkennbar, dass der
gen-ethische Code sich dem wissenschaftlichen Wahrheitsanspruch und Forschungsinteresse
erschließt.
Nun können die Gegner einer entfesselten
Gentechnologie immerhin auf einige erfolgreiche Technikfolgenbegrenzungen rekurrieren. Das
Recht begrenzt fortwährend Technikfolgen, schafft Rechtsgrundlagen und gewährleistet
exekutive Umsetzungen. So hat etwa der TÜV die Betriebsgefahren von Automobilen zwar
keineswegs beseitigt, aber potenzielle Gefahren aus fehlerhaften Anlagen zumindest
erheblich reduziert. Beispiele dieser Art sind aber bereits deshalb nicht übertragbar,
weil hier nicht Risikotechnologien und unabsehbare Forschungsvorhaben zur Verhandlung
anstehen, sondern etwa die Betriebsgefahren des Automobilismus in langen
Erfahrungszeiträumen beobachtet wurden, in denen die Geschichte noch mehr Geduld mit
menschlicher Fehlbarkeit hatte.
|
Die Welt ist ein Genlabor
Partikulare Ethiken wirken sich in einer
Weltgesellschaft fatal aus, weil in jenem Labor praktiziert werden kann, was in diesem
verboten ist. Die Entscheidung des britischen Unterhauses über das Klonen von Stammzellen
aus Embryonen war nur vordergründig eine nationale Entscheidung. Niklas Luhmann hat
darauf hingewiesen, dass Gesetzgeber zwar Forschungsverbote dekretieren können, aber
allein ein einziges Forschungsergebnis, das die ethischen Selbstbescheidungsgrenzen einer
Gesellschaft durchbricht, alle Verbote zunichte macht. Hinter den einmal erreichten
Erkenntnisstand kann die Wissenschaft cum grano salis nicht zurückfallen - im Guten wie
im Bösen. Die Früchte der verbotenen Wissenschaft wachsen überall und wer immer sie
pflückt, hat den Sündenfall wider die Schöpfung auch für die anderen mitverwirklicht.
Und während hier zu Lande die Bioethik sich
in Aporien verbeißt, fällt der Blick auf Russland, das keine gesetzlichen
Einschränkungen der Gentechnologie kennt. Der St. Petersburger Humangenetiker Wladislaw
Baranow hat denn auch seine westlichen Kollegen schon in das russische Forschungsparadies
eingeladen: "Bei uns können Sie mit menschlichen Föten arbeiten, so viel Sie
wollen."
In der Bioethik versteckt sich mithin der
Grundwiderspruch zwischen partikularer Ethik, universaler Wissenschaft wie Forschung und
national begrenzten Regelungskompetenzen. Dieses "Trilemma" wird in den
bioethischen Diskursen zumeist unsichtbar gemacht, weil die Selbstlegitimation des
ethischen Hybriden in seinen institutionellen Verfestigungen gefährdet wäre, die
Bioethik mithin Konkurs anmelden müsste. So entstehen fortwährend moralische
Unwägbarkeiten, die zwar in infiniten Diskussionen zirkulieren, aber schon deshalb nicht
aufgelöst werden können, weil sie nicht anhand valider Forschungsergebnisse überprüft
werden können. Im Gegensatz etwa zur atomaren Selbstbeschränkung auf Grund des sicheren
Schadenseintritts beim Einsatz von Nuklearwaffen, beinhaltet der gegenwärtige Stand der
Gentechnologie gerade keine zureichenden Ausblicke auf potenzielle Katastrophen.
Einer Menschheit, die sich an apokalyptische
Szenarien gewöhnt hat, reichen nun aber vage Katastrophen zuallerletzt, um ihr die
prometheischen Lüste auszutreiben. Nicht nur das individuelle Leben, auch die Evolution
selbst, ob nun biologisch oder technologisch vorangetrieben, bleibt ein Risikogeschäft,
dem selbst die Achtung vor Technologiefolgen- und Bioethikkommissionen fehlt. Hier nun
liegt aber das zentrale Anliegen der Gentechnologiewarner, der sich im Angstmodus
präsentiert: Es geht um nichts weniger als die Sorge um die "conditio humana",
deren unabsehbare Veränderungen den eigentlichen Schrecken gegenüber einer Schöpfung
begründen, die sich noch nicht auf ihr Altenteil bescheiden lässt. Nida-Rümelins
Argumentation aus der Menschenwürde wäre noch tiefer zu fundieren, nämlich bei der
Frage, inwieweit der Mensch in seiner bestehenden biologischen Konstruktion überhaupt
eine Option auf Zukunft hat. Diese Fragestellung birgt indes so wenig Hoffnung auf
Antworten, weil nicht nur über diese Zukunft keine verlässlichen Aussagen zu treffen
sind, sondern die Umgestaltung des Seins die Bioethik vollends in den vergeblichen
Rückgriff auf ein überhaupt nicht mehr fixierbares Menschenbild hineintreiben würde.
Lassen sich aus dem Menschen selbst noch
Maßstäbe seiner Gestaltung, Veränderung, Manipulierbarkeit entwickeln, wenn das nicht
festgestellte Tier so wenig Neigung zeigt, sich in einer prä- oder poststabilierten
Harmonie einzurichten? Darüber mag die Bioethik nachdenken, aber nicht von ethischen
Grenzen reden, wenn sie moralisch partikulare Positionen besetzt - oder mit Wittgenstein
formuliert: "Die Schwierigkeit ist, die Grundlosigkeit unseres Glaubens
einzusehen".
Goedart Palm
Top |
|