Die anwaltliche Praxis im Arbeitsrecht ist nicht unwesentlich durch ein Verständnis für die Struktur und Phänomene der Arbeitswelt geprägt. Ohne die Kenntnis von Unternehmenswirklichkeiten lassen sich viele Konstellationen nicht
begreifen.
Richard Sennett, der in seiner berühmten Abhandlung über die "Tyrannei der
Intimität" den Verfall der Öffentlichkeit untersuchte, hat eine
kleine Studie über einige Phänomene kapitalistischer Charaktere
vorgelegt. Im Zentrum seiner Untersuchung steht der Begriff der Flexibilität.
Flexibilität gilt als Rezeptur der neuen Unternehmen, zugleich als
Charakterqualität des karrierebewusst Handelnden.
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Täglich werden
die Mythen erfolgreicher Unternehmer, Jungmanager, Entrepreneurs der frühen
Stunde erzählt. Silicon Valley, Microsoft oder Intel gelten als die
Ikonen des schnellen Erfolgs. Aus Ludwig Erhards
Wirtschaftswunderphilosophie "Wohlstand für alle" wird ab jetzt
"Reichtum für jedermann". Traditionsunternehmen, die in
Generationen denken, sind out. Der Zahltag soll sich spätestens nach
einigen Jahren einstellen. Loslassen können von gestern neuen,
heute antiquierten Produkten, radikale Führungsqualitäten, globales
Netzwerkdenken, virtuelle Unternehmensphilosophien werden zum Gebot des
rasenden Zeitgenossen. Lebenslanges Lernen, der permanente Erwerb von
Erfahrungen wird in den inzwischen klassisch gewordenen
Unternehmenskonzeptionen beschworen. Übersehen wird dabei, dass eben
nicht neues Wissen auf altes gesetzt wird, sondern die Software des
Bewusstseins oft komplett ausgetauscht werden muss.
Sennett zeigt die gefährlichen
Fallstricke, in denen sich die Erfolgszwangsgeplagten verfangen, weil sie
immer weniger auf ihr Wissen vertrauen dürfen, aber zugleich die Furcht
vor neuen Ansätzen wächst. So werden Erfolgsgeschichten projiziert, ohne
dass die Handelnden auch die persönlichen Voraussetzungen mitbringen, die
unabdingbar für den schnellen Erfolg sind. Bereits der Aufbruch in das Wunderland
der schnellen Dollars gilt als Erfolg, auch wenn der Absturz kurz darauf
folgt. Die Gläubigen des rasanten Kapitalismus stoßen auf diffuse
Produktions- und Distributionsstrukturen, in denen altes Erfahrungswissen
wenig zählt und deren Vorhersehbarkeit ausgeschlossen ist. Es entsteht
eine Unternehmenskultur der Oberflächlichkeit, die vom Gewohnheitstier
Mensch, der auf die Kontinuität sozialer Beziehungen angewiesen ist,
nicht verkraftet wird. Loyalität zum Unternehmen wird zu einem raren Gut,
das sich keiner mehr leisten kann, der zu seinem Karrierezenit surft.
Sennett demonstriert aber, dass
Enthierarchisierung alles andere als Orientierungssicherheiten schafft.
Unternehmen entstehen und vergehen, hinterlassen werden Orientierungslose
-- Strandgut des hyperflexiblen Kapitalismus. Corrosion of character
lautet denn auch der amerikanische Originaltitel, der die Folgen übereilten
Wirtschaftens, der Demontage klassischen Unternehmertums besser fasst als
der deutsche Übersetzungstitel. Im Verweis auf die Statistiken erläutert
Sennett, dass die Fetische des neoliberalen Kapitalismus Ungleichheiten
verstärken, eine kleine Gruppe von Siegern und ein Heer von ausgebrannten
Verlierern produzieren. "The way out" wäre -- für die
Ideologen des schnellen Wirtschaftens unerträglich -- das Beharrungsvermögen,
die Nichtbereitschaft sich auf eine wildgewordene Wirtschaft einzulassen. Sennetts Analyse trifft ins Herz der
euphorischen Managementbeschwörungsliteratur und macht deutlich, dass
"positive thinking" oft nur der Auftakt des Abgesangs ist.
Fraglich bleibt aber, ob die neuen Strukturen auf der Ebene des Individuums
überhaupt lösbar sind, oder es nicht unabdingbar wird, Wege aus dem ruinösen
Kasinokapitalismus zu finden. Weder der Neoliberalismus noch eine autoritäre
Wirtschaftsdiktatur erscheinen geeignet, eine global vernetzte Wirtschaft
wieder auf Menschenmaß einzurichten.
Goedart Palm
Nachtrag:
Richard Sennett hat ein ausgezeichnetes Buch über "Handwerk"
geschrieben, was auch Freiberufler in einer sehr fundamentalen Weise über
ihre Tätigkeit aufklärt.
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