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 Rechtsanwalt Bonn Dr. Palm

 

 

Lernendes Unternehmen

von

Rechtsanwalt Dr. Palm

Lernunternehmen Goedart Palm

Teil 1

Nach zahlreichen betriebssoziologischen Neuentwürfen der Unternehmenswirklichkeit hat eine weitere Verunsicherung das Management erreicht: Lernunternehmen. Galten vordem "scientific management" oder humane Betriebskultur als Maßgaben innerbetrieblicher Organisation, sollen Unternehmen nun zuvörderst dem exponenziellen Wissenswachstum in Informationsgesellschaften Rechnung tragen. Sie dürfen sich nach Auffassung der Lerntheoretiker nicht länger auf das Wissen ihrer Mitarbeiter verlassen, sondern müssen selbst lernen, wenn sie nicht untergehen wollen. Vor allem aber müssen sie schnell lernen, weil mit dem "information overload" zugleich die Halbwertszeiten verwertbaren Wissens abnehmen.
 

Ein Mythos als neues Selbstverständnis

"Organisationen halten Leute beschäftigt, unterhalten sie bisweilen, vermitteln ihnen eine Vielfalt von Erfahrungen, halten sie von den Straßen fern, liefern Vorwände für Geschichtenerzählungen und ermöglichen Sozialisation. Sonst haben sie nichts anzubieten" (1). Mit dieser losen Feststellung endete Karl E. Weick seine inzwischen klassische Betrachtung zur Sozialpsychologie der Organisation, die zweckrationale Betriebskonstruktionen marginalisierte und "weiche" Begrifflichkeiten gegen "harte" Kategorien eintauschte.

In klassischer Perspektive schienen Organisationen dagegen rational steuerbar zu sein. Die Maschinenmetapher, das wissenschaftlich beschriebene Fabriksystem oder Max Webers bürokratischer Idealtypus markierten eine Vernunft, die in hierarchisch organisierter Autorität, Aufgabenspezialisierung und Verhaltensstandards ihr Selbstverständnis fand. Komplementär ordnete sich ein nicht organisierter Markt hochorganisierten Unternehmen zu, während eine "unsichtbare Hand" Angebot und Nachfrage zum Zweck blühender Gesellschaften lenkte. Unternehmerische Rationalität strukturierte sich über den sich ständig erneuernden Zweck, den Gewinn in der Konkurrenz zu Mitbewerbern zu steigern, ohne nach ökonomischen, ökologischen oder sozialen Grenzen des Zwecks zu fragen. Der Markt wurde noch nicht global definiert. Erst mit der Entgrenzung des Marktes in eine weltweite Produktions- und Konsumgemeinschaft ergaben sich paradoxerweise Grenzziehungen wirtschaftlichen Handelns. Politik beschied sich in der Angabe von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die im Zuge komplexerer Wirtschafts- und Politikbedingungen zwar immer nachhaltiger wurden, aber bis zum heutigen Tage keine gesamtwirtschaftliche Steuerungsfunktion besitzen. Steuerung folgte der Codierung von Befehl/Exekution, wie sie im politischen und militärischen Bereich mehr oder weniger erfolgreich praktiziert wurden. Die Qualität dieser Steuerung war mit materiellen und kognitiven Ressourcen verkoppelt, die dem Unternehmen zur Zweckerfüllung zur Verfügung standen. Alle Hindernisse in der Umsetzung vernünftiger Ziele für das Unternehmen galt es folglich zu beseitigen. Ob "scientific management" oder "human relations" beschrieben werden, es bleibt dabei: Menschliche Eigenschaften müssen genutzt, geformt oder ausgeschlossen werden, um die Unternehmensleistung in der Konkurrenz zu verbessern. Freilich musste dabei das Paradox verdeckt werden, dass in der Konkurrenz gerade weniger rationalistische Leistungen, schlechteres ökonomisches Handeln anderer notwendig vorausgesetzt werden, da nur so der eigene Rationalitätszuwachs eine wettbewerbserhebliche Bedeutung haben kann. Dieses Paradox bleibt auch in den neuen Unternehmens(selbst)beschreibungen erhalten. Denn Wettbewerb und Konkurrenz sind im Rahmen freien wirtschaftlichen Handelns gerade keiner Neubeschreibung zugänglich, sondern der Grund für organisatorische Verfestigungen von Unternehmensstrukturen. Die Betonung positiven Wettbewerbs, der Kooperativität oder äquivalenter Austauschbedingungen macht dieses Apriori unkenntlich.

Folgenreich veränderte sich dieses Bild einer positiven Evolution in der Selbstreferenz unternehmerischen Handelns. In das unternehmerische Wissen - wie in jedes andere! - schlich sich die Selbstbeobachtung der eigenen Veränderlichkeit ein. Als Grundwissen schälte sich heraus, dass Unternehmen lernen müssen, wenn sie nicht untergehen wollen. Nun bleibt diese Erkenntnis so lange selbst trivial wie dieses Wissen auf Unternehmen als steuerungsfähige Einheiten bezogen wird. Die Programmatik könnte nur lauten, immer neue Kognitionen in den Entscheidungsprozess von Unternehmen einzubauen, mithin die Steuerungsfähigkeit in Korrespondenz mit der Umwelt zu verbessern. Enttrivialisiert wird diese Erkenntnis aber, wenn sie auf eine veränderte Selbstbeschreibung des Unternehmens bezogen wird. Ein Unternehmen, das nicht einfach als Widerspiegelung von Umweltveränderungen beschrieben wird, sondern sich im Gegensatz zu dieser Umwelt mit Hilfe eigener Medien bzw. Codes selbst organisiert, verliert den Glauben an eine rational umfassende Planbarkeit wirtschaftlichen Handelns.

Die Betrachtung wirtschaftlichen Handelns als Selbstorganisation, wurde durch wissenschaftliche Neubeschreibungen von biologischen Prozessen, insbesondere anhand der Funktionsweise des Gehirns, ausgelöst und nahm den Glauben an die objektive Abbildbarkeit von Umwelten zu Gunsten einer konstruktivistischen Wahrnehmung. Konstruktivistische Wahrnehmung bezeichnet ein System/Umweltverhältnis, das alle Systembeschreibungen als Unterscheidungen fasst, die aus dem System selbst generiert werden. Innerhalb des Systems gelten eigene Codierungswerte und dem verbundene Kommunikationen, in denen sich das System selbst reproduziert. Nach der vor allem von Niklas Luhmann gewählten Unterscheidung gehen Systembeobachtungen von der Differenz von System und Umwelt aus (2). Das Unternehmen verarbeitet innerhalb seiner eigenen Elemente Umwelteinflüsse, die systemlogisch zu Entscheidungen verarbeitet werden können. Diese Auffassung verstößt gegen eine der ältesten Intuitionen menschlicher (Selbst)Wahrnehmung, Welt und Umwelt als das sehen zu können, was sie wirklich ist. Die philosophischen Irrungen und Wirrungen dieser Ideengeschichte sind hier nicht zu verfolgen, aber gegenüber dem (radikalen) Konstruktivismus bleibt die alte Intuition hartnäckig, dass Welt und Wahrnehmung korrespondieren. Das avancierte Selbstverständnis von Unternehmen hat aber mit der veränderten Wahrnehmung den Blick auf die organisatorischen Voraussetzungen seiner ökonomischen Wirklichkeit gerichtet und diese mit der Selbstverhaltenserwartung verkoppelt, die eigene Problemverarbeitung als Lernprozess zu strukturieren. 

Autopädagogik

Insbesondere im Bereich der Markt- und Kundenorientierung des Managements avancierte das lernende Unternehmen zur inflationären Heilsvokabel eines mitunter fragilen Systemdenkens (3). Nach diesen lerntheoretischen Ansätzen lässt sich eine Organisation nicht länger sinnvoll präzeptiv steuern, weil die Handelnden selbst Teil der Organisation sind. Selbstorganisation verdränge klassische Entscheidungsformen wie Befehl und Ausführung. Theoretiker des lernenden Unternehmens haben mit unterschiedlichen Differenzierungen die klassischen Begrifflichkeiten von Produktion, Arbeit und Umsatz in eine pädagogische Terminologie überführt, die insbesondere den früher vernachlässigten nicht planbaren Organisationsmomenten Rechnung tragen sollte. Unternehmen entwickeln sich danach nicht länger unbewusst naturwüchsig, sondern auf der Basis einer besseren Selbstbeobachtung eigener Zielsetzungen. Die pädagogische Theorieinflation im Unternehmen ist zunächst vor allem deshalb so erstaunlich, weil Pädagogik in ihrem eigenen Terrain längst zum kognitiven Krisengebiet erklärt wurde. Insbesondere im schwerfälligen Umbau klassischer curricula zu praxisbezogenem Lernstoff oder vor dem Hintergrund von universitären Lernfabriken mit zweifelhaftem output erscheint Pädagogik als eine Disziplin, die selbst noch besser lernen muss, wie "Lernen" gelernt werden kann.

Es bleibt die Frage, was und wie das Unternehmen lernen kann, wenn die Autopoiesis (Selbstreproduktion) als Autopädagogik verstanden wird. Mit verschiedenen Differenzierungen könnte das lernende Unternehmen als eine Organisation bezeichnet werden, in der über kognitive Prozesse Selbstreferenz in das Unternehmen eingeführt wird, um die eigene Identität im Blick auf die Unternehmenszielsetzung kognitiv zu verändern. Vereinfacht kann Selbstreferenz so wie bei Menschen als Selbstreflektivität bezeichnet werden. Danach beobachtet sich das System in der Differenz zu seiner Umwelt - anderen Unternehmen, Kunden, staatlichen Systemen - selbst und versucht Rückschlüsse auf eine bessere Problembewältigung zu ziehen. Nach den Lerntheoretikern sind klassische Unternehmenskonzeptionen, die etwa im Sinne Taylors Arbeitsprozesse in der Unterscheidung von Kopf- und Handarbeit zerlegen, genauso wenig zureichend wie isolierte Beobachtungen der Unternehmensumwelt: "In dem Maße, in dem ein Unternehmen weiterhin auf tayloristisch geprägte Management-Strukturen setzt, beraubt es sich selbst der Energie und Dynamik, die sich schnell wandelnde Märkte erfordern" (4).

Die gesamte neuere Diskussion über nachklassische Betriebsorganisationen hat daher veränderte Arbeits- und Betriebsformen wie Gruppen-, Team- und Projektarbeit bzw. Visionen fraktaler Unternehmen, virtueller Organisationen, Allianzen oder Netzwerke als neue Elemente des lernenden Unternehmens genannt. Die neue Selbstreflexivität des Unternehmens markieren "workshops" "learn-shops" oder coaching-Modelle, die häufig nicht unternehmensgebundenen Sachverstand integrieren, um Beobachtungsperspektiven zu Gewähr leisten, deren Fügsamkeit in der Organisation geringer ist und damit auch unbequeme Selbsteinsichten zu fördern.  

Wie lernen Unternehmen?

Da Menschen für die Organisation auch im Fall ihrer Mitglieder Umwelt sind, ist es systemtheoretisch für ein Unternehmen zunächst völlig unerheblich, wie Menschen lernen (5). Dieser simple Umstand ist freilich geeignet, erhebliche Verwirrungen auszulösen, weil menschliche Beobachter regelmäßig das Wissen der Organisation als Ergebnis ihres Lernens ansehen. Dagegen gilt es organisationstheoretisch zwischen Systemlernen und menschlichem Lernen zu unterscheiden. Eine Organisation kann zum Aufbau hoher Eigenkomplexität und gleichzeitiger Reduktion von Umweltkomplexität menschliches Wissen nur insoweit zulassen, als die eigenen Entscheidungsfunktionen dadurch verbessert werden. Systemlernen heißt, menschliches Wissen danach zu bewerten, wie weit es der Selbstreproduktion des Unternehmens dient. Diese Bewertung erfolgt aber nicht durch psychische Systeme, sondern durch die Organisation selbst. Wenn sie das tut, lernt sie selbst!Lernunternehmen Orchester

Wie also lernt ein Unternehmen? Nach Bateson bezeichnet Lernen die Veränderung irgendeiner Art, von der schwierig zu sagen ist, um welche Veränderung es sich handelt (6). Ein Unternehmen kann sich Lernbereitschaft nur leisten, wenn es an Stelle dieser offenen Anforderung genau feststellt, unter welchen Bedingungen und in welcher Sinnrichtung man Erwartungen zu ändern hat (7). Nach dem der Computerbranche entlehnten "Benchmarking" richtet sich gezieltes Lernen auf erfolgreichere Unternehmen in dem zu vergleichenden Bereich, deren Strategien und Organisationsvoraussetzungen zu analysieren und assimilieren wären. Unternehmen können den Grad ihres Lernerfolges in der Folge daran messen, wie Kunden reagieren. Umsatz wird damit zum Gradmesser der Lernfähigkeit des Unternehmens.

Herausforderungen an die Lernfähigkeit eines Systems kommen somit zwar von außen, müssen aber in der eigenen Systemlogik zu Entscheidungen verarbeitet werden. Ein System, z. B. ein Organismus, der in einer Situation völliger Homöostase belassen würde, hätte keine Veranlassung zu lernen, weil seine Überlebensfähigkeit nicht bedroht ist. Das ist im Fall von Unternehmen nicht zu besorgen, weil Konkurrenten, Gewerkschaften und staatliche Einheiten den nötigen Außendruck Gewähr leisten, um Veränderungen zu provozieren.

Die Lerntheorie hat auf die Verarbeitung von Außenreizen zumeist mit Modellen reagiert, in der die Mitarbeiter gleichsam ein panoptisches Selbstbeobachtungssystem bilden, ohne deutlich zu machen, wie sich dieses umweltoffene System mit der autopoietischen Schließung von Organisation verträgt. Diese Modelle beantworten nicht, wie verhindert werden kann, dass alles für wichtig gehalten wird - und schließlich gar nichts mehr.

Kognitionsmanagement dieser Art drohen Steuerungsverluste, weil das jeweilige Wissen in eine Eigendynamik gerät, die sich nicht zwangsläufig mit den außerkognitiven Entscheidungsfunktion der Organisation verkoppelt. Menschliche Lernprozesse demontieren Motivationen in demselben Maße, in dem sie motivieren können. Die Geschichte der abendländischen Paradigmenwechsel ist eine Geschichte der Querdenker, die regelmäßig aus Lernzusammenhängen kamen, die heteronom veranlasst waren und schließlich gegen sich selbst gerichtet wurden, weil die zu Grunde liegenden Prämissen mit neuen Erkenntnissen nicht mehr klar kamen. Reflektionsniveaus sind unterschiedlich, Kognitionen treffen sich nicht, Wahrnehmung ist Konstruktion und solche Konstruktionen fallen eben unterschiedlich aus, je nach dem, wer mit welchem Konstruktionsinteresse "wahrnimmt". Die "fundamentalontologische" Unternehmensphilosophie bewegt sich in dem Selbstwiderspruch, menschliches Lernen von einem systemtheoretischen Ergebnis her zu definieren - eine petitio principii, die eben Lernen jenen evolutionären Charakter nicht zugestehen will, zu völlig anderen Ergebnissen als prosperierenden Unternehmen zu kommen. Gerade die Änderung von Kognitionstrukturen kann ein System zerstören, um ein neues zu bilden (8). Ein System reagiert hierauf gleichermaßen mit kognitiven Einschluss- und Ausschlussfunktionen gegenüber seiner Umwelt.

Lebenslanges Lernen mit entsprechend hohen Kosten für die Qualifizierung und Weiterentwicklung von Unternehmensmitarbeitern ist inzwischen über explizite "Lernunternehmen" hinaus zur selbstverständlichen Erkenntnis aller Betriebe geworden. Wenig berücksichtigt wird die stammesgeschichtliche Widerständigkeit von Menschen, die eben nicht allein synergetisch aufgelöst werden kann. Der klassische Individualismus, der sich in postmodernen Beliebigkeitskulturen zu immer neuen Lifestyle-Konzepten aufgipfelt, markiert den Widerstand gegenüber organisatorischer Einbindung. Unternehmensziele sind nie auf allen Ebenen des Systems gleichzusetzen mit individuellen Zielen. Motivationen werden zu einem Desiderat, das in Freizeitgesellschaften immer stärker in die Lebenswelt verschoben wird.

Während die Autopoiesis der Wirtschaft durch Zahlungen begründet wird, handelt es sich bei Lernen, Arbeiten, Produktion etc. allenfalls um Derivate. "Erst wenn das System dieses Kriterium des Profits als Gesichtspunkt der Selbststeuerung akzeptiert, wird es im Produktionsbereich von privaten Motiven und Wertschätzungen unabhängig" (9). Profit ist ein zustimmungsunabhängiges Motiv - dadurch ist man nicht auf Legitimation und die Angst vor Neuem als Abweichung abhängig (10). In der Philosophie des lernenden Unternehmens bleibt offen, welche Systemdifferenzen zwischen organischen, sozialen, kognitiven Systemen gerade nicht in widerspruchsfreier Synergie aufgelöst werden können. Synergie folgt einem handlungsorientierten Menschenbild in der Tradition der Aufklärung und unterschlägt regelmäßig die Systemverarbeitung asymmetrischer Interessen. 

Das holistische Unternehmen

Generelles Ziel der Überwindung von Kooperationsbarrieren zwischen Konstruktion und Fertigung sei die Optimierung von Entwicklungs- und Produktionsprozessen. Grundlegend sei dabei eine ganzheitliche Betrachtung von Prozessabläufen und des Zusammenwirkens unterschiedlicher Funktionsbereiche in Form von Lernprozessen (11). Dabei soll sowohl die Effizienz der betrieblichen Organisation als auch die Beteiligung der Mitarbeiter erhöht werden (12). Es geht mithin nicht länger nur um die Humanisierung des Arbeitsplatzes in der Verringerung technologisch strukturierter Arbeit - etwa am Fliessband - oder um eine wirtschaftliche Beteiligung der Mitarbeiter am Unternehmen zur Förderung von Mitverantwortung, sondern um eine veränderte Beobachtungsform. Ganzheitliches Denken schließt aber ein, dass Organisationen in ihrer Selbstreproduktion auch unternehmensbezogen oder für Mitarbeiter unerwünschte Folgen mitproduzieren. Ganzheitliche Konzeptionen laufen in einer arbeitsteilig strukturierten Produktionswirklichkeit Gefahr, die inzwischen theoretisch entschärfte Entfremdungsdiskussion wiederzubeleben. Eine soziale Evolution, die gleichermaßen humane Positionen sowie ökonomische Systemzwecke strukturell koppelt und zugleich kompatibel mit überindividuellen Wissensbanken bleiben soll (13), ist ein weiches Theoriedesiderat. Im Sinne motivationaler Arbeitsförderung mag die Fiktion ganzheitlicher Selbstbeobachtung sinnvoll sein. "Ganzheitlichkeit" kann aber nicht als Beobachtungs- und Lernmodus selbstorganisierender Systeme gelten, wenn die Steuerungsvorteile funktional differenzierter Unternehmen erhalten bleiben sollen.

Nach der neuen Lerntheorie gilt es, die Umweltturbulenzen, die Unübersichtlichkeiten und Mehrdeutigkeiten im Inneren des Betriebes nachzuvollziehen. So soll dem Chaos mit Chaos begegnet werden, um das Durcheinander zu einer höheren Flexibilität an veränderliche Markt- und Wettbewerbsbedingungen vor dem Hintergrund steigender Käufererwartungen zu formen (14). Da es der Lerntheorie nicht um Weiterbildungsseminare für Mitarbeiter, sondern um umfassende Lernprozesse geht, die das Arbeiten überformen, fragt es sich, ob Arbeiten überhaupt als Lernprozess beschrieben werden kann. "Learning by doing" schien die auch betriebswirtschaftlich sinnvolle Antwort auf eine dynamische Veränderung von Arbeitsstrukturen zu sein, die nicht länger auf einem gesicherten Wissensfundus aufbauen können. So gilt dem Bildungsminister, der zugleich Zukunftsminister ist, Wissen als der "wichtigste Rohstoff der Zukunft". Auch wenn der Weg über den "Qualification-highway" in eine "Wissensgesellschaft" führe, muss mit dem exponenziellen Wissenszuwachs der Lernstoff verteilt, beschnitten - vor allem aber handlungsbezogen formuliert werden. Die Transformation von Informationen in Handlungswissen beantwortet sich nicht durch den Verweis auf das notwendige Lernen, sondern wird mit der Aporie konfrontiert, dass immer mehr Wissen gespeichert wird, das nicht mehr verarbeitet werden kann. Handlungsschwächen auf Grund von Überinformation, nicht länger kompatiblem Wissen sind die Konsequenz.

Auch wenn die Kritik des Taylorismus, die Kritik an der Trennung von Kopf und Hand, ein korrigierbares Produktionsideal sein mag, bleibt das holistische Konzept die Antwort schuldig, wieso eine Systembetrachtung die Differenzierung von Teilfunktionen sowohl des motorischen wie kognitiven Apparats überflüssig machen soll. Arbeitsteiligkeit ist ja selbst das Ergebnis evolutionärer Veränderungen der Arbeit, die auch in modernen Unternehmenstechnologien (noch) nicht aufzuheben sind.

Der Anspruch des lernenden Unternehmens wird noch weiter intensiviert, wenn behauptet wird, dass nicht das klassische Modell der Unterweisung im Lehrer-Schüler-Verhältnis, sondern kooperative Selbstqualifizierung und Intervision gefördert werden müssen (15). Solche Lerntechniken widersprechen nachhaltig der Notwendigkeit, das Wissen selbst "tayloristisch" zu verteilen, anschlussfähiges Wissen auf systemischer, nicht individueller Ebene zu verkoppeln. Wer Expertenwissen für Team-Prozesse nutzbar machen will, muss Auskunft über die Anschlussmöglichkeiten im kommunikativen und interdisziplinären Prozess geben. Längst bestreiten professionelle Sprachspiele diesen Anspruch, reißen immer weiter die Gräben zwischen lebensweltlichem Verständnis und systemischen Betrachtungen auf. Exemplarisch drängen sich mit der rapide beschleunigten Digitalisierung von Arbeitsplätzen Fachsprachen in Unternehmen, die mit ständigen kognitiven Verlusten verbunden sind.

Selbstqualifizierung findet aber zugleich ihre Grenze im systemischen Interesse, Unterscheidungen zu bilden, Relevantes von Irrelevantem zu trennen - vor allem aber, motivations- und wertunabhängig wirtschaften zu können. Das bestreitet nicht die Funktion von Rahmenbedingungen der Arbeit wie Betriebsklima, Führungsstil, Nachwuchsförderung oder Rückkopplungsstrategien. Lernen, Motivation, Identifikation und Qualität der Arbeit sind aber trotz mannigfaltiger Störungen gut voneinander zu trennen - so wie sie auch je nach Aufgabenstellung zusammenfallen können. So gilt für das Management ein anderes Arbeitsmodell als auf nachgeordneten Unternehmensebenen. Das ist auch der Grund, dass Lerntheorien beim Management ungleich stärkere Resonanz auslösen als auf Mitarbeiterebenen. Das schwache Feed-back auf dieser Ebene kann nicht als vorläufiges Vollzugsdefizit der Lerntheorie genommen werden, sondern auf das Systemerhaltungsinteresse. Wie krass die Widersprüche sind, belegen einerseits Mitarbeiterprofile, die bei Einstellungen vorausgesetzt werden, und andererseits völlig konträre Kreativitätsbeschreibungen, denen angeblich zu folgen ist. So stellt Hans Peter Fischer von Mercedes Benz nüchtern fest: "Wie sieht aber die Verbindung zu einer Lernenden Organisation aus? Was bedeutet dieser Begriff in unserem Großunternehmen? Die Antwort ist wohl, dass man bei uns nicht wirklich lernt - man arbeitet! Woran? Wir bauen nach wie vor Autos und werden es auch in Zukunft tun" (16).

Ende des ersten Teils

Lernendes 

Unternehmen

Zweiter Teil 

Nach der Theorie des Lernunternehmens können Betriebe sich nicht auf ihren Kognitionsstandard verlassen, sondern müssen in sich rapide verändernden Umwelten lernen, wenn sie konkurrenzfähig bleiben wollen. Ist das "systemische" Lernen ein neues Paradigma selbstorganisierender Unternehmen oder nur alter Wein in neuen Schläuchen? In der zweiten Folge ist zu untersuchen, ob Wissen wirklich Macht ist, wem dieses Wissen zuzurechnen ist und welches Menschenbild dem Lernunternehmen korreliert. 

Ist Wissen Ohnmacht?

Fraglos basieren Organisationen wie Unternehmen auf Kognition. Systemtheoretisch widersinnig ist aber die Behauptung, dass nur Individuen diejenigen sind, die Wissen für das System Unternehmen verfügbar halten. Gerade diese Auffassung verlässt die systemische Betrachtung zu Gunsten trivialer Einsichten, Humanressourcen seien das Kapital des Unternehmens. So stellt Willke fest, dass Organisationen zu ihrem Wissen kämen, in dem das organisationsrelevante Wissen über Personen zu einer Wissensbank verdichtet würde (17).

Die Verfügung über solche Wissensbanken relativiert sich in dem Maße, in dem dieses Wissen spezifisch wird, um Anschlussmöglichkeiten für wirtschaftliches Handelns zu eröffnen. Die Durchdringung des notwendigen ökonomischen Handlungswissens durch Individuen ist unwahrscheinlich gegenüber der weiter gehenden Instrumentalisierung des Faktors Mensch im System. Systeme sind eben keine Transformationen menschlicher Leistungsfähigkeit und Selbstverwirklichung, sondern überindividuelle Strukturen, die sich in der Differenz zu ihrer Umwelt zu selbstständigen Handlungseinheiten schließen.

Selbstreflexivität ist danach mehr und weniger als der vormals konsensfähige Gemeinspruch "Wissen ist Macht", der gleichwohl in- und explizit die Lerntheorie als vermeintlich konsensfähige Basisideologie begleitet. Historisch ist der Begriff des Wissens von Leibniz, Herder und anderen auf das hohe Ziel der Universalbildung getrieben worden. Wissen wurde zum Garanten der Aufklärung, des Ausgangs des Individuums aus der selbst- oder fremdverschuldeten Unmündigkeit hin zur Autonomie selbstverantwortlichen Handelns. Diese Auffassung stand unter der Prämisse umfassender Welterschließung im individuellen Wissen - jenseits funktional differenzierter Aufgabenerfüllungen in einer Gesellschaft. Auch wenn sich dieses Wissen in der Organisation - etwa in Universitäten - sehr schnell als kontextabhängiges Wissen formte, wurde es Individuen als Wissensträger zugerechnet. Allein die Beobachtung von kollektiven Gedächtnisformen in klassischen und neuen Medien relativiert aber das individuell Gewusste. Die humanistische Wissensform prägt nicht die Wissensmacht des Unternehmens, da Universalität ihren Anspruch an hochspezifisches und partikulares Wissen abtreten musste, das nur kommunikationsfähig bleibt, wenn es auf eben diese Wissensform stößt.

Ein Unternehmen kann nur entscheidungsfähig bleiben, wenn vieles nicht gewusst wird. Skepsis begegnet deshalb Forderungen wie dieser: "Im Mittelpunkt aller Innovation und allen Wachstums werden in der Wirtschaft von morgen der Zugriff auf Informationen, der Umlauf von Informationen und die Nutzung von Informationen stehen - in einem Maßstab, und vor allem mit einer Geschwindigkeit, die vor ein paar Jahren noch unvorstellbar waren" (18). Fazit sei unter anderem, dass der soziale Dialog zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern innerhalb des Unternehmens Priorität haben sollte. Danach wären Informationen verfügbare Güter, deren Entstehungsgeschwindigkeit mit der beschleunigter Verarbeitung beantwortet werden muss.

Gerade die historisch beobachtbare Bedeutung herausragender Akteure der Wirtschaft basierte regelmäßig nicht auf ihrem Informationsvorsprung gegenüber Konkurrenten, sondern auf ihrer positiven Rigidität, als richtig vermutete Entscheidungen gegen innerorganisatorische Widerstände und kognitiven Ballast umzusetzen. In der Kontingenz unternehmerischen Handelns, die auf komplementäre Kontingenz bei Konkurrenten stößt, liegt daher zugleich die Stärke wie Schwäche jeder Wissensorganisation. Wissen und Erfahrung von heute sind die Ahnungslosigkeit der Handelnden von morgen und auch nicht auf Systemebene aufzulösen.

Erst in der Relativierung von Information und ihrer Ausblendung wird Handeln für Unternehmen möglich. Der Vorbehalt des Irrtums wird in komplexeren Umwelten stärker denn je, wie sich an der Fluktuation unternehmerischer Initiativen belegen lässt. Traditionsunternehmen werden insbesondere im Bereich neuer Technologien mit völlig veränderten Halbwertszeiten des Wissens immer unwahrscheinlicher. Die flüchtige Existenz virtueller Unternehmen belegt die Transformation klassischer Unternehmensstrukturen hin zum Projekt.

Auch wenn ökonomische Entscheidungen wissensbasiert sind, muss dieses Wissen nicht in den Entscheidungsfunktionen angeeignet, sondern lediglich instrumentalisiert werden. Mithin ist es falsch, wenn Fuchs feststellt: "Die Macht des Kapitals wird abgelöst durch die Macht des Know-how. Und die neuen Machthaber sind die Know-how-Träger"(19). Historisch lässt sich in der Tat beobachten, dass Unternehmungsgründer oft in Personalunion Entscheidungsträger und Verwalter des spezifischen Handlungswissens waren. Heute sind Entscheidungsinstanzen auf Vorstands- oder Managementebene von den kognitiven Entscheidungsgrundlagen insoweit abgekoppelt, als sie regelmäßig mit vorfabrizierten Informationen arbeiten.

Die Konversion des Wissens in Betriebskapital löst mithin nicht die Machtverhältnisse in Augurenherrschaft auf. Ein Machtpool bildet sich nicht in der Kognitionsmasse eines Unternehmens, sondern wird durch Entscheidungsfunktionen möglich, die von der Wissensabhängigkeit der Organisation unterschieden werden können. So integrieren sich in prosperierenden Unternehmen zwar erhebliche Wissenspotenziale, die aber Steuerung eben nicht ersetzen, sondern ermöglichen. 

Heterarchie: Unternehmen ohne Unternehmer?

Mit dem Begriff des lernenden Unternehmen verbindet sich die weit reichende Fiktion, dass heterarchische Strukturen bereits das Organisationsproblem lösen: "Alle MitarbeiterInnen sollen zu 'Unternehmern' werden und außerdem in 'Teams' oder in projektförmiger Arbeitsorganisation kundenorientiert arbeiten!"(20). Die Verschmelzung der Interessen von Unternehmern und Mitarbeitern oder gar die völlige Auflösung dieser Gruppen wurde bereits in sozialutopischen, später marxistischen Programmatiken ideologiefähig. Identifikation mit der Arbeit sei nur über die Auflösung des Widerspruchs von Kapitaleignern und Arbeitern möglich. Diese Ideologie erwies sich als nicht lernfähig, weil das Wirtschaftssystem von der Politik auf die staatliche Ebene verschoben wurde, hier aber Identifikationsmängel und Interessendivergenzen noch massiver auftraten, ohne dass sie noch markiert werden durften. Theoretisch erfolgversprechender schien es, das Identifikationsproblem als Abstraktionsproblem zu formulieren. Je entfernter Arbeitsergebnisse von den jeweiligen sensomotorischen Erfahrungen sind, umso schwieriger wird die Anbindung des Einzelnen an das Unternehmensziel. Unternehmensselbstbeschreibungen wie "corporate identity" verlagern dieses Problem auf eine Symbolebene, die sich auch nur als bedingt gegensteuerungsfähig erwies, wenn individuelle Motivationsverluste auftreten. In globalen Unternehmen wird Identifikation als Problem so massiv wie in Massendemokratien oder supranationalen Zusammenschlüssen, die persönliche Identifikationen mit allen Mitgliedern nie erreichen können, wenn sie sich vor der Selbstauflösung bewahren wollen. Identifikation ist mithin nicht nur global unmöglich, sondern widerspricht auch arbeitsteilig differenzierten Organisationen (21). Gerade in der Konzeption des Lernunternehmens sollen ja Motivationsüberschüsse "erwirtschaftet" werden, die über den status quo hinausgehen. Insofern ist auch die Markierung einer corporate identity nur insoweit wünschbar, als Selbstverständnisänderungen des Unternehmens erhalten bleiben.

Abstraktion und Komplexität avancierten zu einem immer stärkeren Strukturmoment sozialer Systeme, das eben nicht über Teamgeist, projektförmige Arbeit oder parafamiliäre Unternehmensstrukturen völlig aufgelöst werden kann. Es wäre ein groteskes Ergebnis, wenn alle Mitarbeiter zu Unternehmern würden, weil zuletzt das Unternehmen sich selbst auflösen müsste. Danach ist es problematisch, die Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit aller Einzelsysteme, die zum komplexen Organismus der lernenden Organisation zusammenwachsen, als notwendiges Wesensmerkmal der lernenden Unternehmens vorzustellen. Bereits das human-relations-Konzept hatte Unternehmen als Organismus begriffen, ein Begriff, der - wie etwa die Ideologie nationalsozialistischer Betriebsgemeinsamkeiten belegt - leicht pervertiert werden kann. Danach wären nicht mehr die basalen Sicherungen produktionsorientierter Arbeit wie Bezahlung, soziale Sicherung, Sicherheit des Arbeitsplatzes allein entscheidend für das Systemverständnis. Hinzu treten "menschliche" Momente wie soziale Beziehungen der Unternehmensmitglieder oder emotionale Sicherungen, die herausragende Bedeutung für die Unternehmenszwecke entfalten sollen. Mit diesen Anforderungen widerspricht aber das Organismusmodell modernen funktionalen Organisationen, in der "human ressources" in das Betriebskonzept einzuordnen sind.

Ein weiterer Vorteil, der zu Gunsten des heterarchischen Modells angegeben wird - Reduktion des organisatorischen Aufwand durch Verteilung der Entscheidungsfunktionen - ruft auf der anderen Seite wieder einen Zuwachs an Störungen hervor.

So ist etwa Mobbing eine moderne Betriebskrankheit, die vor allem durch Zuständigkeitsdefizite, Schwächung von Entscheidungsfunktionen und fehlenden Außendruck gefördert wird. Hilflos ist gegen solche Anfechtungen unternehmerischer Effizienz das vielfach beschworene Allheilmittel der "Flexibilität". Wenn man Organisationen zum Medium der eigenen Möglichkeiten machen will, erfordert das externe Rigidität. Das Änderungsproblem wird nicht erkannt, wenn man es nur als ein Problem der psychischen Flexibilität oder der Lernfähigkeit von Mitarbeitern auffasst. Luhmann verweist auf rigide psychische Strukturen, die gerade in der Lage sind, ihre Umwelt als Medium zu begreifen und das eigene Handeln unter dieser Prämisse anschlussfähig zur Verfügung zu stellen (22).

Zu unterscheiden wären etwa hierarchische Unternehmensbereiche wie die Produktion von "fraktalen" Verantwortungsstrukturen in konzeptuellen Grundlagenbereichen. Wenn dagegen die neuen Manager pauschal als "Manager des Lernens" für sich selbst, Einzelne und Systeme gehandelt werden, bleibt offen, wieso Unternehmenstrukturen mit den Lebenswelten der Mitarbeiter autoritätsfrei harmonisieren sollten. Hier werden Interessenidentitäten als organisches Systemprodukt behandelt, ohne Interessenkollisionen durch die bekannten organisatorischen und konsensorientierten Verfahren zumindest zeitweise zu schlichten. 

Die fünfte Disziplin?

Bereits Ende der Siebzigerjahre hatte das Konzept der "Unternehmenskultur" für abgeschliffene Hierarchien und Kommunikationsnetze plädiert (23). Fehlerfreundlichkeit, Nonkonformismus, Individualismus, Transparenz der Kommunikation, Institutionalisierung von selbstorganisierenden Prozessen, Diskursivität manageriellen Handelns wurden als Profile genannt, dem Unternehmen Umweltoffenheit und Lernfähigkeit zu vermitteln (24). Ohne die wenig tragfähige Unterscheidung von Kultur und Zivilisation zu bemühen, ist aber jedes Unternehmen Teil der Kultur und Kultur im engeren Sinne zugleich eine hinreichend allgemeine Kategorie, wirtschaftliches Handeln zu nobilitieren, ohne hinreichend präzise Zielangaben zu vermitteln. Vor allem ist der Kulturbegriff aber geeignet, Herrschaftsstrukturen und Autoritäten anzuzweifeln, ohne diese Auseinandersetzung politisch führen zu müssen.

Einen weiterreichenden Ansatz vertritt Peter M. Senge, Leiter des Organizational Learning Center der Sloan School of Management und Protagonist der Unternehmenslerntheorie, wenn er behauptet, dass kreative Leistung, Motivation und Mitverantwortung sich im Widerspruch zum klassischen Management westlichen Zuschnitts bewegen (25). Sei erstmal das klassische Management aufgelöst, sei eine partizipationsorientierte Führungskultur möglich, mit der sich Identifikation der Mitarbeiter, Offenheit und Experimentierfreude im Unternehmen einstellen. Geprägt wird dieses neue Systemdenken durch "personal mastery", d. h. Selbststeuerung und Erfolgszuversicht, die sich der unternehmerischen Zielsetzung zuordnet. Es gelte flexible mentale Modelle zu entwickeln, die Selbstkritik fördern und starre Denkmuster vermeiden, die an Besitzstandsdenken, Machtbefugnissen und Privilegien festhalten. Senges Menschenbild folgt einem alten stoischen Ideal der Selbstbeherrschung, einer Lebenstechnologie, die sich freilich nicht auf die Entwicklung persönlicher Souveränität gegenüber einer feindlichen Umwelt bescheidet, sondern zugleich den Königsweg zu einer besseren Gesellschaft garantiert. Solche Sozialutopien stoßen in dem Maße auf Widerstände, in dem Gesellschaften komplexer werden und Handelnde in ihrem Glauben an Systemrationalität immer stärker irritiert werden. Wenn eine Veränderung des Menschenbildes in Hochtechnologiegesellschaften - nichts anderes gilt für Informationsgesellschaften - anzugeben wäre, dann doch die täglich wachsende Potenzierung von Unsicherheiten, Abhängigkeiten und Identitätsverlusten.

Senge verlangt von Organisationen, dass Kontextveränderungen wie Nachfrageverhalten rechtzeitig erkannt werden müssen. Das sei aber nicht vom Top-Management oder Marktforschern zu leisten, sondern von allen Unternehmensmitarbeitern, die auf Grund ihrer Funktion bessere Beobachtungspositionen besitzen. Fraglos hat die Reversibilität des Unternehmensvollzugs von "oben nach unten" vitale Bedeutung für die Informationsmikropolitik des Unternehmens (26). Aber diese Zielsetzung steht weder im Widerspruch zur klassischen Unternehmenskonzeption noch löst sie das Entscheidungsproblem. Es bleibt völlig offen, wieso traditionelle Instrumente zur Beseitigung von Schwachstellen wie betriebliches Vorschlagswesen oder ein auf die Vereinfachung von Abläufen orientiertes Qualitätsmanagement zu kurz greifen.

Senge betont "weiche Faktoren" wie informelle Kommunikationen zur beschleunigten Fehlerbehebung. Mitarbeiter könnten sich mit Veränderungsanforderungen identifizieren, wenn Versagensangst abgebaut wird. Unternehmerisches Handeln folgt aber keinem familiären Ethos, sondern ist in seiner Flexibilisierung gerade darauf angewiesen, auch rigide Entscheidungen zu treffen, die das individuelle Interesse verlassen. Versagensängste der Mitarbeiter mögen schlechte Berater sein, aber Leistungskontrolle bleibt in Unternehmen unabdingbar. Beurteilungs- und Vergütungssysteme, die an individueller Leistungsfähigkeit anknüpfen, sind eine Selbstverständlichkeit, die nicht im Widerspruch zu Lernkonzepten stehen. Lernen impliziert sowohl auf individueller wie systemischer Ebene unterschiedliche Lernerfolge, die gerade geeignet sind, egalitäre Strukturen einer Gesellschaft zu beeinflussen.

So richten sich die Klagen auf die individualistische Orientierung an Macht, Einfluss und Aufstieg, die sich in Garagen-, Dienstwagen- und Arbeitszimmerregelungen und hierarchieabhängige Gratifikationen niederschlägt. Eberl hat daher zu Recht darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der gezielten Gestaltung von Lernprozessen die Erwartungen nicht zu hoch anzusetzen sind, weil Status-quo-Denken und Zeitdruck die Umsetzung behindern (27). Diese Verhaltensweisen sind aber nichts anderes als komplementäre Momente einer Erfolgsorientierung, die nicht aus dem Wirtschaftssystem wie ein Tumor herausgeschnitten werden können. 

Lebenswelt Unternehmen

Funktional differenzierte Systeme unterscheiden sich von stratifizierten oder segmentären Gesellschaften durch Codierungen/ Medien/ Beobachtungstypen, die per definitonem aus dem System ausgeschlossen sind, weil das System keine Verwendung dafür haben darf, wenn es sich erhalten will. Nach Luhmann gewinnt die Wirtschaft ihre Einheit als autopoietisch geschlossenes System dadurch, dass eigene Elemente entwickelt werden, die nur in rekursivem Bezug auf andere Elemente desselben Systems ihre Einheit gewinnen. Der "unit act" der Wirtschaft ist die Zahlung (28). Ein ganzheitliches System ist eine "contradictio in adjecto", weil sie zu Lasten der funktionalen Differenzierung alles das wieder in das System einführen würde, was gesellschaftlich längst anders verwaltet wird. Dieses Systemverständnis würde etwa bedeuten, dass Medien eines anderen Systems für kompatibel erklärt würden - das Unternehmen veränderte sich zu einer Art Auffangbecken für alle lebensweltlich nicht einlösbaren Ansprüche. Würde etwa im Bereich der Unternehmen mit dem Codewert "Liebe" bezahlt, dann läge ein Irrtum vor, das System reagiert auf diese Währung nicht, auch wenn etwa Trendforscher das "management by love" beschwören. Die Ausdifferenzierung des Wirtschaftssystems ist von dem Kommunikationsmedium "Geld" abhängig. Ausgehend von der Knappheit der Güter werden die Operationen des Wirtschaftssystems durch dessen Monetarisierung verstanden. Geld überbrückt aber nicht die Differenz von egoistischen und altruistischen Motiven, verschmelzt weder individuelle mit kollektiver Identität noch besitzt es intrinsische Qualitäten, wie sie die Pädagogik bereithalten soll.

Auch für lernende Organisationen verwandeln sich Störungen mithin nicht notwendig in Wachstum, mögen Störungen auch ideale Lerngelegenheiten sein, wenn die Absorptionskraft des Systems ausreicht, um Zusammenbrüche zu vermeiden. Die theoretische Anverwandlung des Chaos bedient den horror vacui nicht organisierbarer Momente. Gegen Senge und andere bleibt zu vermerken, dass die immer wieder bemühten fernöstlichen Paradigmen ja gerade nicht auf Ordnung zielen, sondern die Differenzen von System und Umwelt auflösen. Zwar gibt es mentalitätsgeschichtliche Gründe, warum die Aufweichung abendländischer Rationalität aus der vormals "gelben Gefahr" ein Prinzip Hoffnung machte, um aus der fatalen Fortschrittsdialektik zur Gleichgewichtsmystik zu kommen (29). Der Buddhismus ist aber auch in seinen weichtheoretischen Transformationen keine brauchbare Unternehmensphilosophie, weil Differenzen zwischen System und Umwelt zu Entscheidungen verarbeitet werden müssen und nicht in unreflektierter Einheit der Differenz zuzuschütten sind. Für die Anschlussstellen zum spätabendländischen Systemdenken sind die Lerntheoretiker beweisfällig geblieben. Nun behauptet Goethe "Jeder lernt nur, was er lernen kann" und das gilt selbstverständlich auch für die Theorie der lernenden Unternehmen selbst. Beachtlich wäre dieser Paradigmenwechsel in Zukunft nur, wenn die Autopädagogik zwischen notwendigem Lernen und Nichtlernen auf Systemebene unterscheiden könnte, ohne den Ballast einer ungesicherten Motivationspsychologie, fernöstlicher Weisheitslehren oder Amalgame aus Handlungs- und Systemtheorie anzubieten. Fazit bleibt, dass die Konzeption des lernenden Unternehmens sich vor allem lernfähig gegenüber der eigenen Utopie erweisen muss, um zu einer wirklichen Systemtheorie aufzuschließen. Als systemtheoretisch getarnte Handlungstheorie muss sie mit den Zwecken, die sie in das Unternehmen setzt, relativ erfolglos in diesem System bleiben. Ein allgemeines Prosperitätsideal für Unternehmen, in denen Wirtschaften ganzheitlich mit systemfremden Belangen harmoniert, ist beim jetzigen Stand der Theorie nicht zu erwarten. 

Goedart Palm
 

Literaturangaben

(1) Weik, Karl E. (1985): Der Prozess des Organisierens, Frankfurt/M, S. 375. (Originalausgabe 1969).

(2) Vgl. etwa Luhmann, Niklas (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt/M. Zum Verhältnis von Organisation und Gesellschaft ders. (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt/M., S. 826 ff.

(3) Vgl. die Literatur im Folgenden sowie: Bea,F.X.(1995): Prozessorientierte Produktionstheorie und Lernen; in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Ergänzungsheft 3, Wiesbaden, S.35-47. Dürr,W. (1989): Organisationsentwicklung als Kulturentwicklung: Einübung in die Wahrnehmung eines Ganzen; Schriftreihe Wirtschaftsdidaktik (Bd.17), Baltmannsweiler. Heinen,E. et.al. (1987): Unternehmenskultur: Perspektiven für Wissen-schaft und Praxis, München, Wien. Hill,W. et.al. (1981): Organisationslehre (1): Ziele, Instrumente und Bedingungen der Organisation sozialer Systeme; 3.Aufl., Bern, Stuttgart. Kline, Peter; Saunders, Bernard: Zehn Schritte zur Lernenden Organisation ­ Das Praxisbuch, Paderborn 1996. Marwitz, Klaus: Lean Company ­ Der freie Blick auf die neue Unternehmens-Vision. Junfermann, Paderborn 1993. Reinhardt,R. (1995), Das Modell organisationaler Lernfähigkeit und die Gestaltung lernfähiger Organisationen; 2.Aufl., Bildung und Organisation (Bd.2), Frankfurt/M. u.a. Sell,R. (1991), Angewandtes Problemlösungsverhalten: Denken und Handeln in komplexen Zusammenhängen; 4.Aufl., Berlin u.a. Schreyögg,G. und Noss, C. (1995), Organisatorischer Wandel: Von der Organisationsentwicklung zur lernenden Organisation; in: DBW, Heft 2; S.169-182. Schröder,H.-H. (1995), F&E-Aktivitäten als Lernprozesse: Lernorientiertes F&E-Management; in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Ergänzungsheft 3, Wiesbaden, S.49-77. Tarpy,R.M. (1975), Lernen: experimentelle Grundlagen, Berlin u.a. Vahs,D. (1997), Alles ist im Fluss: Organisationelles Lernen hilft bei der Bewältigung srtuktureller Veränderungen; in: io Management Zeitschrift, Betriebswirtschaftliches Institut der ETH-Zürich (Hrsg.), Heft 4, S.74-79. Senge, Peter; Kleiner, Art; Smith, Bryan; Roberts, Charlotte/Ross, Richard: Das Fieldbook zur Fünften Disziplin, Stuttgart 1996. Stahl, Tomas; Nyhan, Barry; D'Aloja, Piera: Die Lernende Organisation ­ Eine Vision der Entwicklung der Humanressourcen, EUROTECNET ­ Taskforce Humanressources (»EURO-TECNET ist ein Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft zur Förderung der Innovationen in der beruflichen Erstausbildung und in der beruflichen Weiterbildung, um dem derzeitigen und künftigen technologischen Wandel und seinen Auswirkungen auf Beschäftigung und Arbeit sowie auf die daraus hervorgehenden Anforderungen an Qualifikationen und Fertigkeiten Rechnung zu tragen…«); 1993. Werner,J. und Strzalka, Fr.-J. (1985), Perspektivisches Denken und Reflexionen beim Lösen eines komplexen Problems; Psychologisches Institut der Ruhr-Universität Bochum, Arbeitseinheit Kognitionspsychologie, Bericht Nr. 34/1985. Wildemann,H. (1995), Ein Ansatz zur Steigerung der Reorganisationsgeschwindigkeit von Unternehmen: Die Lernende Organisation; in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Ergänzungsheft 3, Wiesbaden, S.1-23.

(4) Baecker, D. (1994): Postheroisches Management, Berlin, S. 13. 

(5) Hier liegt die theoretische Konfliktlinie zwischem dem "Schöpfer der Autopoiesis" Humberto R. Maturana und Niklas Luhmann, hierzu Bardmann, Theodor M.(1994): Wenn aus Arbeit Abfall wird. Aufbau und Abbau organisatorischer Realitäten, Frankfurt/M, S. 148 ff.

(6) Bateson, G. (1992): Ökologie des Geistes, Frankfurt/M, S. 366.

(7) Luhmann, N. (1984): Soziale Systeme, Frankfurt/M, S. 447 ff. allgemein zu Lernbereitschaft und Lernbedingungen.

(8) Maturana, H.R (1985): Erkennen: Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit, 2. Auflage, Braunschweig/Wiesbaden 1985, S. 313.

(9) Luhmann, N. (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt/M., S. 56. 

(10) Anderer Auffassung Weik, Karl E. (1985) (Originalausgabe 1969): Der Prozess des Organisierens, Frankfurt/M, S. 357 f. 

(11) Vgl. etwa Probst,G.J.B. (1987): Selbst-Organisation. Ordnungsprozesse in sozialen Systemen aus ganzheitlicher Sicht, Berlin u.a. 

(12) Kutzner, E./Drinkuth, A.(o.J.): Lernende Unternehmen. Lernen durch Beteiligung - Chancen der Gestaltung, www.igmetall.de/ materialien/I_untern.html.

(13) Strunk, A.(1997): Design in der Wildnis, GL-DV-Consult 1997 Gerald Lembke, home.t-online.de/home/gerald.lembke.

(14) Marwitz, K.(1997): Soll uns die Flut im Schlaf überraschen? NLP in lernenden Organisationen, lern-org.de -- Klaus Marwitz - 97.

(15) Kunz, G. C. (1997): Lernende Organisation - Mode oder Methode?, lern-org.de -- Klaus Marwitz - 97.

(16) Fischer, H.-P. (1997): Die Lernende Organisation in der Praxis eines Großunternehmens, GL-DV-Consult 1997 Gerald Lembke, home.t-online.de/home/gerald.lembke.

(17) Willke, H.(1995): Systemtheorie III: Steuerungstheorie. Stuttgart, Jena, S. 294.

(18) Zwischenbericht für den Europäischen Rat der "Gruppe hochrangiger Sachverständiger für die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen industrieller Wandlungsprozesse vom 14.05.1998, S. 11 ff.

(19) Fuchs, J.(1992): Vom Taylorismus zur Organisation. Wie Organisationen leben lernen, IBM-Nachrichten 42, Heft 308, S. 14-23.

(20) Orthey. F. M. (1997): Wer lernt da eigentlich? Von der lernenden Organisation: Mythen, systemische Rationalisierung und schwindlige Etiketten, GL-EDV 1997 Gerald Lembke, home.t-online.de/home/ gerald.lembke.

(21) Lindenberg, B.M. (1995): Wie unmodern sind moderne Organisationen? Verwaltungsrundschau, Heft 3, 1995

(22) Luhmann, N. (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt/M., S. 319.

(23) Peters, T.J./Waterman, R.H. (1986): Auf der Suche nach Spitzenleistungen. Was man von den bestgeführten US-Unternehmen lernen kann, Landsberg am Lech.

(24) Zu diesen Kriterien vgl. Bardmann, Theodor M.(1994): Wenn aus Arbeit Abfall wird. Aufbau und Abbau organisatorischer Realitäten, Frankfurt/M, S. 353 ff.

(25) Senge, P. (1996): Die Fünfte Disziplin ­ Theorie und Kunst der lernenden Organisation, Stuttgart.

(26) Kunz , G. C. (1997): Lernende Organisation - Mode oder Methode?, lern-org.de -- Klaus Marwitz - 97.

(27) Eberl, P. (1996): Die Idee des organisationalen Lernens. Konzeptionelle Grundlagen und Gestaltungsmöglichkeiten. Bern, Stuttgart, Wien, S. 230.

(28) Luhmann, N. (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt/M., S. 52 ff.

(29) Vgl. dazu Münch, R. (1991): Dialektik der Kommunikationsgesellschaft, Frankfurt/M., S. 65 ff.
 

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