Teil 1
Nach zahlreichen betriebssoziologischen Neuentwürfen der
Unternehmenswirklichkeit hat eine weitere Verunsicherung das Management erreicht:
Lernunternehmen. Galten vordem "scientific management" oder humane
Betriebskultur als Maßgaben innerbetrieblicher Organisation, sollen Unternehmen nun
zuvörderst dem exponenziellen Wissenswachstum in Informationsgesellschaften Rechnung
tragen. Sie dürfen sich nach Auffassung der Lerntheoretiker nicht länger auf das Wissen
ihrer Mitarbeiter verlassen, sondern müssen selbst lernen, wenn sie nicht untergehen
wollen. Vor allem aber müssen sie schnell lernen, weil mit dem "information
overload" zugleich die Halbwertszeiten verwertbaren Wissens abnehmen.
Ein Mythos als neues
Selbstverständnis
"Organisationen halten Leute beschäftigt, unterhalten
sie bisweilen, vermitteln ihnen eine Vielfalt von Erfahrungen, halten sie von den Straßen
fern, liefern Vorwände für Geschichtenerzählungen und ermöglichen Sozialisation. Sonst
haben sie nichts anzubieten" (1). Mit dieser losen Feststellung endete Karl E. Weick
seine inzwischen klassische Betrachtung zur Sozialpsychologie der Organisation, die
zweckrationale Betriebskonstruktionen marginalisierte und "weiche"
Begrifflichkeiten gegen "harte" Kategorien eintauschte.
In klassischer Perspektive schienen Organisationen dagegen
rational steuerbar zu sein. Die Maschinenmetapher, das wissenschaftlich beschriebene
Fabriksystem oder Max Webers bürokratischer Idealtypus markierten eine Vernunft, die in
hierarchisch organisierter Autorität, Aufgabenspezialisierung und Verhaltensstandards ihr
Selbstverständnis fand. Komplementär ordnete sich ein nicht organisierter Markt
hochorganisierten Unternehmen zu, während eine "unsichtbare Hand" Angebot und
Nachfrage zum Zweck blühender Gesellschaften lenkte. Unternehmerische Rationalität
strukturierte sich über den sich ständig erneuernden Zweck, den Gewinn in der Konkurrenz
zu Mitbewerbern zu steigern, ohne nach ökonomischen, ökologischen oder sozialen Grenzen
des Zwecks zu fragen. Der Markt wurde noch nicht global definiert. Erst mit der
Entgrenzung des Marktes in eine weltweite Produktions- und Konsumgemeinschaft ergaben sich
paradoxerweise Grenzziehungen wirtschaftlichen Handelns. Politik beschied sich in der
Angabe von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die im Zuge komplexerer Wirtschafts- und
Politikbedingungen zwar immer nachhaltiger wurden, aber bis zum heutigen Tage keine
gesamtwirtschaftliche Steuerungsfunktion besitzen. Steuerung folgte der Codierung von
Befehl/Exekution, wie sie im politischen und militärischen Bereich mehr oder weniger
erfolgreich praktiziert wurden. Die Qualität dieser Steuerung war mit materiellen und
kognitiven Ressourcen verkoppelt, die dem Unternehmen zur Zweckerfüllung zur Verfügung
standen. Alle Hindernisse in der Umsetzung vernünftiger Ziele für das Unternehmen galt
es folglich zu beseitigen. Ob "scientific management" oder "human
relations" beschrieben werden, es bleibt dabei: Menschliche Eigenschaften müssen
genutzt, geformt oder ausgeschlossen werden, um die Unternehmensleistung in der Konkurrenz
zu verbessern. Freilich musste dabei das Paradox verdeckt werden, dass in der Konkurrenz
gerade weniger rationalistische Leistungen, schlechteres ökonomisches Handeln anderer
notwendig vorausgesetzt werden, da nur so der eigene Rationalitätszuwachs eine
wettbewerbserhebliche Bedeutung haben kann. Dieses Paradox bleibt auch in den neuen
Unternehmens(selbst)beschreibungen erhalten. Denn Wettbewerb und Konkurrenz sind im Rahmen
freien wirtschaftlichen Handelns gerade keiner Neubeschreibung zugänglich, sondern der
Grund für organisatorische Verfestigungen von Unternehmensstrukturen. Die Betonung
positiven Wettbewerbs, der Kooperativität oder äquivalenter Austauschbedingungen macht
dieses Apriori unkenntlich.
Folgenreich veränderte sich dieses Bild einer positiven
Evolution in der Selbstreferenz unternehmerischen Handelns. In das unternehmerische Wissen
- wie in jedes andere! - schlich sich die Selbstbeobachtung der eigenen Veränderlichkeit
ein. Als Grundwissen schälte sich heraus, dass Unternehmen lernen müssen, wenn sie nicht
untergehen wollen. Nun bleibt diese Erkenntnis so lange selbst trivial wie dieses Wissen
auf Unternehmen als steuerungsfähige Einheiten bezogen wird. Die Programmatik könnte nur
lauten, immer neue Kognitionen in den Entscheidungsprozess von Unternehmen einzubauen,
mithin die Steuerungsfähigkeit in Korrespondenz mit der Umwelt zu verbessern.
Enttrivialisiert wird diese Erkenntnis aber, wenn sie auf eine veränderte
Selbstbeschreibung des Unternehmens bezogen wird. Ein Unternehmen, das nicht einfach als
Widerspiegelung von Umweltveränderungen beschrieben wird, sondern sich im Gegensatz zu
dieser Umwelt mit Hilfe eigener Medien bzw. Codes selbst organisiert, verliert den Glauben
an eine rational umfassende Planbarkeit wirtschaftlichen Handelns.
Die Betrachtung wirtschaftlichen Handelns als
Selbstorganisation, wurde durch wissenschaftliche Neubeschreibungen von biologischen
Prozessen, insbesondere anhand der Funktionsweise des Gehirns, ausgelöst und nahm den
Glauben an die objektive Abbildbarkeit von Umwelten zu Gunsten einer konstruktivistischen
Wahrnehmung. Konstruktivistische Wahrnehmung bezeichnet ein System/Umweltverhältnis, das
alle Systembeschreibungen als Unterscheidungen fasst, die aus dem System selbst generiert
werden. Innerhalb des Systems gelten eigene Codierungswerte und dem verbundene
Kommunikationen, in denen sich das System selbst reproduziert. Nach der vor allem von
Niklas Luhmann gewählten Unterscheidung gehen Systembeobachtungen von der Differenz von
System und Umwelt aus (2). Das Unternehmen verarbeitet innerhalb seiner eigenen Elemente
Umwelteinflüsse, die systemlogisch zu Entscheidungen verarbeitet werden können. Diese
Auffassung verstößt gegen eine der ältesten Intuitionen menschlicher
(Selbst)Wahrnehmung, Welt und Umwelt als das sehen zu können, was sie wirklich ist. Die
philosophischen Irrungen und Wirrungen dieser Ideengeschichte sind hier nicht zu
verfolgen, aber gegenüber dem (radikalen) Konstruktivismus bleibt die alte Intuition
hartnäckig, dass Welt und Wahrnehmung korrespondieren. Das avancierte Selbstverständnis
von Unternehmen hat aber mit der veränderten Wahrnehmung den Blick auf die
organisatorischen Voraussetzungen seiner ökonomischen Wirklichkeit gerichtet und diese
mit der Selbstverhaltenserwartung verkoppelt, die eigene Problemverarbeitung als
Lernprozess zu strukturieren.
Autopädagogik
Insbesondere im Bereich der Markt- und Kundenorientierung
des Managements avancierte das lernende Unternehmen zur inflationären Heilsvokabel eines
mitunter fragilen Systemdenkens (3). Nach diesen lerntheoretischen Ansätzen lässt sich
eine Organisation nicht länger sinnvoll präzeptiv steuern, weil die Handelnden selbst
Teil der Organisation sind. Selbstorganisation verdränge klassische Entscheidungsformen
wie Befehl und Ausführung. Theoretiker des lernenden Unternehmens haben mit
unterschiedlichen Differenzierungen die klassischen Begrifflichkeiten von Produktion,
Arbeit und Umsatz in eine pädagogische Terminologie überführt, die insbesondere den
früher vernachlässigten nicht planbaren Organisationsmomenten Rechnung tragen sollte.
Unternehmen entwickeln sich danach nicht länger unbewusst naturwüchsig, sondern auf der
Basis einer besseren Selbstbeobachtung eigener Zielsetzungen. Die pädagogische
Theorieinflation im Unternehmen ist zunächst vor allem deshalb so erstaunlich, weil
Pädagogik in ihrem eigenen Terrain längst zum kognitiven Krisengebiet erklärt wurde.
Insbesondere im schwerfälligen Umbau klassischer curricula zu praxisbezogenem Lernstoff
oder vor dem Hintergrund von universitären Lernfabriken mit zweifelhaftem output
erscheint Pädagogik als eine Disziplin, die selbst noch besser lernen muss, wie
"Lernen" gelernt werden kann.
Es bleibt die Frage, was und wie das Unternehmen lernen
kann, wenn die Autopoiesis (Selbstreproduktion) als
Autopädagogik verstanden wird. Mit verschiedenen Differenzierungen könnte das lernende
Unternehmen als eine Organisation bezeichnet werden, in der über kognitive Prozesse
Selbstreferenz in das Unternehmen eingeführt wird, um die eigene Identität im Blick auf
die Unternehmenszielsetzung kognitiv zu verändern. Vereinfacht kann Selbstreferenz so wie
bei Menschen als Selbstreflektivität bezeichnet werden. Danach beobachtet sich das System
in der Differenz zu seiner Umwelt - anderen Unternehmen, Kunden, staatlichen Systemen -
selbst und versucht Rückschlüsse auf eine bessere Problembewältigung zu ziehen. Nach
den Lerntheoretikern sind klassische Unternehmenskonzeptionen, die etwa im Sinne Taylors
Arbeitsprozesse in der Unterscheidung von Kopf- und Handarbeit zerlegen, genauso wenig
zureichend wie isolierte Beobachtungen der Unternehmensumwelt: "In dem Maße, in dem
ein Unternehmen weiterhin auf tayloristisch geprägte Management-Strukturen setzt, beraubt
es sich selbst der Energie und Dynamik, die sich schnell wandelnde Märkte erfordern"
(4).
Die gesamte neuere Diskussion über nachklassische
Betriebsorganisationen hat daher veränderte Arbeits- und Betriebsformen wie Gruppen-,
Team- und Projektarbeit bzw. Visionen fraktaler Unternehmen, virtueller Organisationen,
Allianzen oder Netzwerke als neue Elemente des lernenden Unternehmens genannt. Die neue
Selbstreflexivität des Unternehmens markieren "workshops"
"learn-shops" oder coaching-Modelle, die häufig nicht unternehmensgebundenen
Sachverstand integrieren, um Beobachtungsperspektiven zu Gewähr leisten, deren
Fügsamkeit in der Organisation geringer ist und damit auch unbequeme Selbsteinsichten zu
fördern.
Wie lernen Unternehmen?
Da Menschen für die Organisation auch im Fall ihrer
Mitglieder Umwelt sind, ist es systemtheoretisch für ein Unternehmen zunächst völlig
unerheblich, wie Menschen lernen (5). Dieser simple Umstand ist freilich geeignet,
erhebliche Verwirrungen auszulösen, weil menschliche Beobachter regelmäßig das Wissen
der Organisation als Ergebnis ihres Lernens ansehen. Dagegen gilt es
organisationstheoretisch zwischen Systemlernen und menschlichem Lernen zu unterscheiden.
Eine Organisation kann zum Aufbau hoher Eigenkomplexität und gleichzeitiger Reduktion von
Umweltkomplexität menschliches Wissen nur insoweit zulassen, als die eigenen
Entscheidungsfunktionen dadurch verbessert werden. Systemlernen heißt, menschliches
Wissen danach zu bewerten, wie weit es der Selbstreproduktion des Unternehmens dient.
Diese Bewertung erfolgt aber nicht durch psychische Systeme, sondern durch die
Organisation selbst. Wenn sie das tut, lernt sie selbst!
Wie also lernt ein Unternehmen? Nach Bateson bezeichnet
Lernen die Veränderung irgendeiner Art, von der schwierig zu sagen ist, um welche
Veränderung es sich handelt (6). Ein Unternehmen kann sich Lernbereitschaft nur leisten,
wenn es an Stelle dieser offenen Anforderung genau feststellt, unter welchen Bedingungen
und in welcher Sinnrichtung man Erwartungen zu ändern hat (7). Nach dem der
Computerbranche entlehnten "Benchmarking" richtet sich gezieltes Lernen auf
erfolgreichere Unternehmen in dem zu vergleichenden Bereich, deren Strategien und
Organisationsvoraussetzungen zu analysieren und assimilieren wären. Unternehmen können
den Grad ihres Lernerfolges in der Folge daran messen, wie Kunden reagieren. Umsatz wird
damit zum Gradmesser der Lernfähigkeit des Unternehmens.
Herausforderungen an die Lernfähigkeit eines Systems
kommen somit zwar von außen, müssen aber in der eigenen Systemlogik zu Entscheidungen
verarbeitet werden. Ein System, z. B. ein Organismus, der in einer Situation völliger
Homöostase belassen würde, hätte keine Veranlassung zu lernen, weil seine
Überlebensfähigkeit nicht bedroht ist. Das ist im Fall von Unternehmen nicht zu
besorgen, weil Konkurrenten, Gewerkschaften und staatliche Einheiten den nötigen
Außendruck Gewähr leisten, um Veränderungen zu provozieren.
Die Lerntheorie hat auf die Verarbeitung von Außenreizen
zumeist mit Modellen reagiert, in der die Mitarbeiter gleichsam ein panoptisches
Selbstbeobachtungssystem bilden, ohne deutlich zu machen, wie sich dieses umweltoffene
System mit der autopoietischen Schließung von Organisation verträgt. Diese Modelle
beantworten nicht, wie verhindert werden kann, dass alles für wichtig gehalten wird - und
schließlich gar nichts mehr.
Kognitionsmanagement dieser Art drohen Steuerungsverluste,
weil das jeweilige Wissen in eine Eigendynamik gerät, die sich nicht zwangsläufig mit
den außerkognitiven Entscheidungsfunktion der Organisation verkoppelt. Menschliche
Lernprozesse demontieren Motivationen in demselben Maße, in dem sie motivieren können.
Die Geschichte der abendländischen Paradigmenwechsel ist eine Geschichte der Querdenker,
die regelmäßig aus Lernzusammenhängen kamen, die heteronom veranlasst waren und
schließlich gegen sich selbst gerichtet wurden, weil die zu Grunde liegenden Prämissen
mit neuen Erkenntnissen nicht mehr klar kamen. Reflektionsniveaus sind unterschiedlich,
Kognitionen treffen sich nicht, Wahrnehmung ist Konstruktion und solche Konstruktionen
fallen eben unterschiedlich aus, je nach dem, wer mit welchem Konstruktionsinteresse
"wahrnimmt". Die "fundamentalontologische" Unternehmensphilosophie
bewegt sich in dem Selbstwiderspruch, menschliches Lernen von einem systemtheoretischen
Ergebnis her zu definieren - eine petitio principii, die eben Lernen jenen evolutionären
Charakter nicht zugestehen will, zu völlig anderen Ergebnissen als prosperierenden
Unternehmen zu kommen. Gerade die Änderung von Kognitionstrukturen kann ein System
zerstören, um ein neues zu bilden (8). Ein System reagiert hierauf gleichermaßen mit
kognitiven Einschluss- und Ausschlussfunktionen gegenüber seiner Umwelt.
Lebenslanges Lernen mit entsprechend hohen Kosten für die
Qualifizierung und Weiterentwicklung von Unternehmensmitarbeitern ist inzwischen über
explizite "Lernunternehmen" hinaus zur selbstverständlichen Erkenntnis aller
Betriebe geworden. Wenig berücksichtigt wird die stammesgeschichtliche Widerständigkeit
von Menschen, die eben nicht allein synergetisch aufgelöst werden kann. Der klassische
Individualismus, der sich in postmodernen Beliebigkeitskulturen zu immer neuen
Lifestyle-Konzepten aufgipfelt, markiert den Widerstand gegenüber organisatorischer
Einbindung. Unternehmensziele sind nie auf allen Ebenen des Systems gleichzusetzen mit
individuellen Zielen. Motivationen werden zu einem Desiderat, das in
Freizeitgesellschaften immer stärker in die Lebenswelt verschoben wird.
Während die Autopoiesis der Wirtschaft durch Zahlungen
begründet wird, handelt es sich bei Lernen, Arbeiten, Produktion etc. allenfalls um
Derivate. "Erst wenn das System dieses Kriterium des Profits als Gesichtspunkt der
Selbststeuerung akzeptiert, wird es im Produktionsbereich von privaten Motiven und
Wertschätzungen unabhängig" (9). Profit ist ein zustimmungsunabhängiges Motiv -
dadurch ist man nicht auf Legitimation und die Angst vor Neuem als Abweichung abhängig
(10). In der Philosophie des lernenden Unternehmens bleibt offen, welche Systemdifferenzen
zwischen organischen, sozialen, kognitiven Systemen gerade nicht in widerspruchsfreier
Synergie aufgelöst werden können. Synergie folgt einem handlungsorientierten
Menschenbild in der Tradition der Aufklärung und unterschlägt regelmäßig die
Systemverarbeitung asymmetrischer Interessen.
Das holistische Unternehmen
Generelles Ziel der Überwindung von Kooperationsbarrieren
zwischen Konstruktion und Fertigung sei die Optimierung von Entwicklungs- und
Produktionsprozessen. Grundlegend sei dabei eine ganzheitliche Betrachtung von
Prozessabläufen und des Zusammenwirkens unterschiedlicher Funktionsbereiche in Form von
Lernprozessen (11). Dabei soll sowohl die Effizienz der betrieblichen Organisation als
auch die Beteiligung der Mitarbeiter erhöht werden (12). Es geht mithin nicht länger nur
um die Humanisierung des Arbeitsplatzes in der Verringerung technologisch strukturierter
Arbeit - etwa am Fliessband - oder um eine wirtschaftliche Beteiligung der Mitarbeiter am
Unternehmen zur Förderung von Mitverantwortung, sondern um eine veränderte
Beobachtungsform. Ganzheitliches Denken schließt aber ein, dass Organisationen in ihrer
Selbstreproduktion auch unternehmensbezogen oder für Mitarbeiter unerwünschte Folgen
mitproduzieren. Ganzheitliche Konzeptionen laufen in einer arbeitsteilig strukturierten
Produktionswirklichkeit Gefahr, die inzwischen theoretisch entschärfte
Entfremdungsdiskussion wiederzubeleben. Eine soziale Evolution, die gleichermaßen humane
Positionen sowie ökonomische Systemzwecke strukturell koppelt und zugleich kompatibel mit
überindividuellen Wissensbanken bleiben soll (13), ist ein weiches Theoriedesiderat. Im
Sinne motivationaler Arbeitsförderung mag die Fiktion ganzheitlicher
Selbstbeobachtung
sinnvoll sein. "Ganzheitlichkeit" kann aber nicht als Beobachtungs- und
Lernmodus selbstorganisierender Systeme gelten, wenn die Steuerungsvorteile funktional
differenzierter Unternehmen erhalten bleiben sollen.
Nach der neuen Lerntheorie gilt es, die Umweltturbulenzen,
die Unübersichtlichkeiten und Mehrdeutigkeiten im Inneren des Betriebes
nachzuvollziehen. So soll dem Chaos mit Chaos begegnet werden, um das Durcheinander zu
einer höheren Flexibilität an veränderliche Markt- und Wettbewerbsbedingungen vor dem
Hintergrund steigender Käufererwartungen zu formen (14). Da es der Lerntheorie nicht um
Weiterbildungsseminare für Mitarbeiter, sondern um umfassende Lernprozesse geht, die das
Arbeiten überformen, fragt es sich, ob Arbeiten überhaupt als Lernprozess beschrieben
werden kann. "Learning by doing" schien die auch betriebswirtschaftlich
sinnvolle Antwort auf eine dynamische Veränderung von Arbeitsstrukturen zu sein, die
nicht länger auf einem gesicherten Wissensfundus aufbauen können. So gilt dem
Bildungsminister, der zugleich Zukunftsminister ist, Wissen als der "wichtigste
Rohstoff der Zukunft". Auch wenn der Weg über den "Qualification-highway"
in eine "Wissensgesellschaft" führe, muss mit dem exponenziellen Wissenszuwachs
der Lernstoff verteilt, beschnitten - vor allem aber handlungsbezogen formuliert werden.
Die Transformation von Informationen in Handlungswissen beantwortet sich nicht durch den
Verweis auf das notwendige Lernen, sondern wird mit der Aporie konfrontiert, dass immer
mehr Wissen gespeichert wird, das nicht mehr verarbeitet werden kann. Handlungsschwächen
auf Grund von Überinformation, nicht länger kompatiblem Wissen sind die Konsequenz.
Auch wenn die Kritik des Taylorismus, die Kritik an der
Trennung von Kopf und Hand, ein korrigierbares Produktionsideal sein mag, bleibt das
holistische Konzept die Antwort schuldig, wieso eine Systembetrachtung die Differenzierung
von Teilfunktionen sowohl des motorischen wie kognitiven Apparats überflüssig machen
soll. Arbeitsteiligkeit ist ja selbst das Ergebnis evolutionärer Veränderungen der
Arbeit, die auch in modernen Unternehmenstechnologien (noch) nicht aufzuheben sind.
Der Anspruch des lernenden Unternehmens wird noch weiter
intensiviert, wenn behauptet wird, dass nicht das klassische Modell der Unterweisung im
Lehrer-Schüler-Verhältnis, sondern kooperative Selbstqualifizierung und Intervision
gefördert werden müssen (15). Solche Lerntechniken widersprechen nachhaltig der
Notwendigkeit, das Wissen selbst "tayloristisch" zu verteilen, anschlussfähiges
Wissen auf systemischer, nicht individueller Ebene zu verkoppeln. Wer Expertenwissen für
Team-Prozesse nutzbar machen will, muss Auskunft über die Anschlussmöglichkeiten im
kommunikativen und interdisziplinären Prozess geben. Längst bestreiten professionelle
Sprachspiele diesen Anspruch, reißen immer weiter die Gräben zwischen lebensweltlichem
Verständnis und systemischen Betrachtungen auf. Exemplarisch drängen sich mit der rapide
beschleunigten Digitalisierung von Arbeitsplätzen Fachsprachen in Unternehmen, die mit
ständigen kognitiven Verlusten verbunden sind.
Selbstqualifizierung findet aber zugleich ihre Grenze im
systemischen Interesse, Unterscheidungen zu bilden, Relevantes von Irrelevantem zu trennen
- vor allem aber, motivations- und wertunabhängig wirtschaften zu können. Das bestreitet
nicht die Funktion von Rahmenbedingungen der Arbeit wie Betriebsklima, Führungsstil,
Nachwuchsförderung oder Rückkopplungsstrategien. Lernen, Motivation, Identifikation und
Qualität der Arbeit sind aber trotz mannigfaltiger Störungen gut voneinander zu trennen
- so wie sie auch je nach Aufgabenstellung zusammenfallen können. So gilt für das
Management ein anderes Arbeitsmodell als auf nachgeordneten Unternehmensebenen. Das ist
auch der Grund, dass Lerntheorien beim Management ungleich stärkere Resonanz auslösen
als auf Mitarbeiterebenen. Das schwache Feed-back auf dieser Ebene kann nicht als
vorläufiges Vollzugsdefizit der Lerntheorie genommen werden, sondern auf das
Systemerhaltungsinteresse. Wie krass die Widersprüche sind, belegen einerseits
Mitarbeiterprofile, die bei Einstellungen vorausgesetzt werden, und andererseits völlig
konträre Kreativitätsbeschreibungen, denen angeblich zu folgen ist. So stellt Hans Peter
Fischer von Mercedes Benz nüchtern fest: "Wie sieht aber die Verbindung zu einer
Lernenden Organisation aus? Was bedeutet dieser Begriff in unserem Großunternehmen? Die
Antwort ist wohl, dass man bei uns nicht wirklich lernt - man arbeitet! Woran? Wir bauen
nach wie vor Autos und werden es auch in Zukunft tun" (16).
Ende des ersten Teils |
Ist Wissen Ohnmacht?
Fraglos basieren Organisationen wie Unternehmen auf
Kognition. Systemtheoretisch widersinnig ist aber die Behauptung, dass nur Individuen
diejenigen sind, die Wissen für das System Unternehmen verfügbar halten. Gerade diese
Auffassung verlässt die systemische Betrachtung zu Gunsten trivialer Einsichten,
Humanressourcen seien das Kapital des Unternehmens. So stellt Willke fest, dass
Organisationen zu ihrem Wissen kämen, in dem das organisationsrelevante Wissen über
Personen zu einer Wissensbank verdichtet würde (17).
Die Verfügung über solche Wissensbanken relativiert sich
in dem Maße, in dem dieses Wissen spezifisch wird, um Anschlussmöglichkeiten für
wirtschaftliches Handelns zu eröffnen. Die Durchdringung des notwendigen ökonomischen
Handlungswissens durch Individuen ist unwahrscheinlich gegenüber der weiter gehenden
Instrumentalisierung des Faktors Mensch im System. Systeme sind eben keine
Transformationen menschlicher Leistungsfähigkeit und Selbstverwirklichung, sondern
überindividuelle Strukturen, die sich in der Differenz zu ihrer Umwelt zu
selbstständigen Handlungseinheiten schließen.
Selbstreflexivität ist danach mehr und weniger als der
vormals konsensfähige Gemeinspruch "Wissen ist Macht", der gleichwohl in- und
explizit die Lerntheorie als vermeintlich konsensfähige Basisideologie begleitet.
Historisch ist der Begriff des Wissens von Leibniz, Herder und anderen auf das hohe Ziel
der Universalbildung getrieben worden. Wissen wurde zum Garanten der Aufklärung, des
Ausgangs des Individuums aus der selbst- oder fremdverschuldeten Unmündigkeit hin zur
Autonomie selbstverantwortlichen Handelns. Diese Auffassung stand unter der Prämisse
umfassender Welterschließung im individuellen Wissen - jenseits funktional differenzierter
Aufgabenerfüllungen in einer Gesellschaft. Auch wenn sich dieses Wissen in der
Organisation - etwa in Universitäten - sehr schnell als kontextabhängiges Wissen formte,
wurde es Individuen als Wissensträger zugerechnet. Allein die Beobachtung von kollektiven
Gedächtnisformen in klassischen und neuen Medien relativiert aber das individuell
Gewusste. Die humanistische Wissensform prägt nicht die Wissensmacht des Unternehmens, da
Universalität ihren Anspruch an hochspezifisches und partikulares Wissen abtreten musste,
das nur kommunikationsfähig bleibt, wenn es auf eben diese Wissensform stößt.
Ein Unternehmen kann nur entscheidungsfähig bleiben, wenn
vieles nicht gewusst wird. Skepsis begegnet deshalb Forderungen wie dieser: "Im
Mittelpunkt aller Innovation und allen Wachstums werden in der Wirtschaft von morgen der
Zugriff auf Informationen, der Umlauf von Informationen und die Nutzung von Informationen
stehen - in einem Maßstab, und vor allem mit einer Geschwindigkeit, die vor ein paar
Jahren noch unvorstellbar waren" (18). Fazit sei unter anderem, dass der soziale
Dialog zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern innerhalb des Unternehmens Priorität haben
sollte. Danach wären Informationen verfügbare Güter, deren Entstehungsgeschwindigkeit
mit der beschleunigter Verarbeitung beantwortet werden muss.
Gerade die historisch beobachtbare Bedeutung herausragender
Akteure der Wirtschaft basierte regelmäßig nicht auf ihrem Informationsvorsprung
gegenüber Konkurrenten, sondern auf ihrer positiven Rigidität, als richtig vermutete
Entscheidungen gegen innerorganisatorische Widerstände und kognitiven Ballast umzusetzen.
In der Kontingenz unternehmerischen Handelns, die auf komplementäre Kontingenz bei
Konkurrenten stößt, liegt daher zugleich die Stärke wie Schwäche jeder
Wissensorganisation. Wissen und Erfahrung von heute sind die Ahnungslosigkeit der
Handelnden von morgen und auch nicht auf Systemebene aufzulösen.
Erst in der Relativierung von Information und ihrer
Ausblendung wird Handeln für Unternehmen möglich. Der Vorbehalt des Irrtums wird in
komplexeren Umwelten stärker denn je, wie sich an der Fluktuation unternehmerischer
Initiativen belegen lässt. Traditionsunternehmen werden insbesondere im Bereich neuer
Technologien mit völlig veränderten Halbwertszeiten des Wissens immer
unwahrscheinlicher. Die flüchtige Existenz virtueller Unternehmen belegt die
Transformation klassischer Unternehmensstrukturen hin zum Projekt.
Auch wenn ökonomische Entscheidungen wissensbasiert sind,
muss dieses Wissen nicht in den Entscheidungsfunktionen angeeignet, sondern lediglich
instrumentalisiert werden. Mithin ist es falsch, wenn Fuchs feststellt: "Die Macht
des Kapitals wird abgelöst durch die Macht des Know-how. Und die neuen Machthaber sind
die Know-how-Träger"(19). Historisch lässt sich in der Tat beobachten, dass
Unternehmungsgründer oft in Personalunion Entscheidungsträger und Verwalter des
spezifischen Handlungswissens waren. Heute sind Entscheidungsinstanzen auf Vorstands- oder
Managementebene von den kognitiven Entscheidungsgrundlagen insoweit abgekoppelt, als sie
regelmäßig mit vorfabrizierten Informationen arbeiten.
Die Konversion des Wissens in Betriebskapital löst mithin
nicht die Machtverhältnisse in Augurenherrschaft auf. Ein Machtpool bildet sich nicht in
der Kognitionsmasse eines Unternehmens, sondern wird durch Entscheidungsfunktionen
möglich, die von der Wissensabhängigkeit der Organisation unterschieden werden können.
So integrieren sich in prosperierenden Unternehmen zwar erhebliche Wissenspotenziale, die
aber Steuerung eben nicht ersetzen, sondern ermöglichen.
Heterarchie: Unternehmen ohne
Unternehmer?
Mit dem Begriff des lernenden Unternehmen verbindet sich
die weit reichende Fiktion, dass heterarchische Strukturen bereits das
Organisationsproblem lösen: "Alle MitarbeiterInnen sollen zu 'Unternehmern' werden
und außerdem in 'Teams' oder in projektförmiger Arbeitsorganisation kundenorientiert
arbeiten!"(20). Die Verschmelzung der Interessen von Unternehmern und Mitarbeitern
oder gar die völlige Auflösung dieser Gruppen wurde bereits in sozialutopischen, später
marxistischen Programmatiken ideologiefähig. Identifikation mit der Arbeit sei nur über
die Auflösung des Widerspruchs von Kapitaleignern und Arbeitern möglich. Diese Ideologie
erwies sich als nicht lernfähig, weil das Wirtschaftssystem von der Politik auf die
staatliche Ebene verschoben wurde, hier aber Identifikationsmängel und
Interessendivergenzen noch massiver auftraten, ohne dass sie noch markiert werden durften.
Theoretisch erfolgversprechender schien es, das Identifikationsproblem als
Abstraktionsproblem zu formulieren. Je entfernter Arbeitsergebnisse von den jeweiligen
sensomotorischen Erfahrungen sind, umso schwieriger wird die Anbindung des Einzelnen an
das Unternehmensziel. Unternehmensselbstbeschreibungen wie "corporate identity"
verlagern dieses Problem auf eine Symbolebene, die sich auch nur als bedingt
gegensteuerungsfähig erwies, wenn individuelle Motivationsverluste auftreten. In globalen
Unternehmen wird Identifikation als Problem so massiv wie in Massendemokratien oder
supranationalen Zusammenschlüssen, die persönliche Identifikationen mit allen
Mitgliedern nie erreichen können, wenn sie sich vor der Selbstauflösung bewahren wollen.
Identifikation ist mithin nicht nur global unmöglich, sondern widerspricht auch
arbeitsteilig differenzierten Organisationen (21). Gerade in der Konzeption des
Lernunternehmens sollen ja Motivationsüberschüsse "erwirtschaftet" werden, die
über den status quo hinausgehen. Insofern ist auch die Markierung einer corporate
identity nur insoweit wünschbar, als Selbstverständnisänderungen des Unternehmens
erhalten bleiben.
Abstraktion und Komplexität avancierten zu einem immer
stärkeren Strukturmoment sozialer Systeme, das eben nicht über Teamgeist,
projektförmige Arbeit oder parafamiliäre Unternehmensstrukturen völlig aufgelöst
werden kann. Es wäre ein groteskes Ergebnis, wenn alle Mitarbeiter zu Unternehmern
würden, weil zuletzt das Unternehmen sich selbst auflösen müsste. Danach ist es
problematisch, die Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit aller Einzelsysteme, die
zum komplexen Organismus der lernenden Organisation zusammenwachsen, als notwendiges
Wesensmerkmal der lernenden Unternehmens vorzustellen. Bereits das human-relations-Konzept
hatte Unternehmen als Organismus begriffen, ein Begriff, der - wie etwa die Ideologie
nationalsozialistischer Betriebsgemeinsamkeiten belegt - leicht pervertiert werden kann.
Danach wären nicht mehr die basalen Sicherungen produktionsorientierter Arbeit wie
Bezahlung, soziale Sicherung, Sicherheit des Arbeitsplatzes allein entscheidend für das
Systemverständnis. Hinzu treten "menschliche" Momente wie soziale Beziehungen
der Unternehmensmitglieder oder emotionale Sicherungen, die herausragende Bedeutung für
die Unternehmenszwecke entfalten sollen. Mit diesen Anforderungen widerspricht aber das
Organismusmodell modernen funktionalen Organisationen, in der "human ressources"
in das Betriebskonzept einzuordnen sind.
Ein weiterer Vorteil, der zu Gunsten des heterarchischen
Modells angegeben wird - Reduktion des organisatorischen Aufwand durch Verteilung der
Entscheidungsfunktionen - ruft auf der anderen Seite wieder einen Zuwachs an Störungen
hervor.
So ist etwa Mobbing eine moderne Betriebskrankheit, die vor
allem durch Zuständigkeitsdefizite, Schwächung von Entscheidungsfunktionen und fehlenden
Außendruck gefördert wird. Hilflos ist gegen solche Anfechtungen unternehmerischer
Effizienz das vielfach beschworene Allheilmittel der "Flexibilität". Wenn man
Organisationen zum Medium der eigenen Möglichkeiten machen will, erfordert das externe
Rigidität. Das Änderungsproblem wird nicht erkannt, wenn man es nur als ein Problem der
psychischen Flexibilität oder der Lernfähigkeit von Mitarbeitern auffasst. Luhmann
verweist auf rigide psychische Strukturen, die gerade in der Lage sind, ihre Umwelt als
Medium zu begreifen und das eigene Handeln unter dieser Prämisse anschlussfähig zur
Verfügung zu stellen (22).
Zu unterscheiden wären etwa hierarchische
Unternehmensbereiche wie die Produktion von "fraktalen" Verantwortungsstrukturen
in konzeptuellen Grundlagenbereichen. Wenn dagegen die neuen Manager pauschal als
"Manager des Lernens" für sich selbst, Einzelne und Systeme gehandelt werden,
bleibt offen, wieso Unternehmenstrukturen mit den Lebenswelten der Mitarbeiter
autoritätsfrei harmonisieren sollten. Hier werden Interessenidentitäten als organisches
Systemprodukt behandelt, ohne Interessenkollisionen durch die bekannten organisatorischen
und konsensorientierten Verfahren zumindest zeitweise zu schlichten.
Die fünfte Disziplin?
Bereits Ende der Siebzigerjahre hatte das Konzept der
"Unternehmenskultur" für abgeschliffene Hierarchien und Kommunikationsnetze
plädiert (23). Fehlerfreundlichkeit, Nonkonformismus, Individualismus, Transparenz der
Kommunikation, Institutionalisierung von selbstorganisierenden Prozessen, Diskursivität
manageriellen Handelns wurden als Profile genannt, dem Unternehmen Umweltoffenheit und
Lernfähigkeit zu vermitteln (24). Ohne die wenig tragfähige Unterscheidung von Kultur
und Zivilisation zu bemühen, ist aber jedes Unternehmen Teil der Kultur und Kultur im
engeren Sinne zugleich eine hinreichend allgemeine Kategorie, wirtschaftliches Handeln zu
nobilitieren, ohne hinreichend präzise Zielangaben zu vermitteln. Vor allem ist der
Kulturbegriff aber geeignet, Herrschaftsstrukturen und Autoritäten anzuzweifeln, ohne
diese Auseinandersetzung politisch führen zu müssen.
Einen weiterreichenden Ansatz vertritt Peter M. Senge,
Leiter des Organizational Learning Center der Sloan School of Management und
Protagonist
der Unternehmenslerntheorie, wenn er behauptet, dass kreative Leistung, Motivation und
Mitverantwortung sich im Widerspruch zum klassischen Management westlichen Zuschnitts
bewegen (25). Sei erstmal das klassische Management aufgelöst, sei eine
partizipationsorientierte Führungskultur möglich, mit der sich Identifikation der
Mitarbeiter, Offenheit und Experimentierfreude im Unternehmen einstellen. Geprägt wird
dieses neue Systemdenken durch "personal mastery", d. h. Selbststeuerung und
Erfolgszuversicht, die sich der unternehmerischen Zielsetzung zuordnet. Es gelte flexible
mentale Modelle zu entwickeln, die Selbstkritik fördern und starre Denkmuster vermeiden,
die an Besitzstandsdenken, Machtbefugnissen und Privilegien festhalten. Senges
Menschenbild folgt einem alten stoischen Ideal der Selbstbeherrschung, einer
Lebenstechnologie, die sich freilich nicht auf die Entwicklung persönlicher
Souveränität gegenüber einer feindlichen Umwelt bescheidet, sondern zugleich den
Königsweg zu einer besseren Gesellschaft garantiert. Solche Sozialutopien stoßen in dem
Maße auf Widerstände, in dem Gesellschaften komplexer werden und Handelnde in ihrem
Glauben an Systemrationalität immer stärker irritiert werden. Wenn eine Veränderung des
Menschenbildes in Hochtechnologiegesellschaften - nichts anderes gilt für
Informationsgesellschaften - anzugeben wäre, dann doch die täglich wachsende
Potenzierung von Unsicherheiten, Abhängigkeiten und Identitätsverlusten.
Senge verlangt von Organisationen, dass
Kontextveränderungen wie Nachfrageverhalten rechtzeitig erkannt werden müssen. Das sei
aber nicht vom Top-Management oder Marktforschern zu leisten, sondern von allen
Unternehmensmitarbeitern, die auf Grund ihrer Funktion bessere Beobachtungspositionen
besitzen. Fraglos hat die Reversibilität des Unternehmensvollzugs von "oben nach
unten" vitale Bedeutung für die Informationsmikropolitik des Unternehmens (26). Aber
diese Zielsetzung steht weder im Widerspruch zur klassischen Unternehmenskonzeption noch
löst sie das Entscheidungsproblem. Es bleibt völlig offen, wieso traditionelle
Instrumente zur Beseitigung von Schwachstellen wie betriebliches Vorschlagswesen oder ein
auf die Vereinfachung von Abläufen orientiertes Qualitätsmanagement zu kurz greifen.
Senge betont "weiche Faktoren" wie informelle
Kommunikationen zur beschleunigten Fehlerbehebung. Mitarbeiter könnten sich mit
Veränderungsanforderungen identifizieren, wenn Versagensangst abgebaut wird.
Unternehmerisches Handeln folgt aber keinem familiären Ethos, sondern ist in seiner
Flexibilisierung gerade darauf angewiesen, auch rigide Entscheidungen zu treffen, die das
individuelle Interesse verlassen. Versagensängste der Mitarbeiter mögen schlechte
Berater sein, aber Leistungskontrolle bleibt in Unternehmen unabdingbar. Beurteilungs- und
Vergütungssysteme, die an individueller Leistungsfähigkeit anknüpfen, sind eine
Selbstverständlichkeit, die nicht im Widerspruch zu Lernkonzepten stehen. Lernen
impliziert sowohl auf individueller wie systemischer Ebene unterschiedliche Lernerfolge,
die gerade geeignet sind, egalitäre Strukturen einer Gesellschaft zu beeinflussen.
So richten sich die Klagen auf die individualistische
Orientierung an Macht, Einfluss und Aufstieg, die sich in Garagen-, Dienstwagen- und
Arbeitszimmerregelungen und hierarchieabhängige Gratifikationen niederschlägt. Eberl hat
daher zu Recht darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der gezielten Gestaltung von
Lernprozessen die Erwartungen nicht zu hoch anzusetzen sind, weil Status-quo-Denken und
Zeitdruck die Umsetzung behindern (27). Diese Verhaltensweisen sind aber nichts anderes
als komplementäre Momente einer Erfolgsorientierung, die nicht aus dem Wirtschaftssystem
wie ein Tumor herausgeschnitten werden können.
Lebenswelt Unternehmen
Funktional differenzierte Systeme unterscheiden sich von
stratifizierten oder segmentären Gesellschaften durch Codierungen/ Medien/
Beobachtungstypen, die per definitonem aus dem System ausgeschlossen sind, weil das System
keine Verwendung dafür haben darf, wenn es sich erhalten will. Nach Luhmann gewinnt die
Wirtschaft ihre Einheit als autopoietisch geschlossenes System dadurch, dass eigene
Elemente entwickelt werden, die nur in rekursivem Bezug auf andere Elemente desselben
Systems ihre Einheit gewinnen. Der "unit act" der Wirtschaft ist die Zahlung
(28). Ein ganzheitliches System ist eine "contradictio in
adjecto", weil sie zu Lasten der
funktionalen Differenzierung alles das wieder in das System einführen würde, was
gesellschaftlich längst anders verwaltet wird. Dieses Systemverständnis würde etwa
bedeuten, dass Medien eines anderen Systems für kompatibel erklärt würden - das
Unternehmen veränderte sich zu einer Art Auffangbecken für alle lebensweltlich nicht
einlösbaren Ansprüche. Würde etwa im Bereich der Unternehmen mit dem Codewert
"Liebe" bezahlt, dann läge ein Irrtum vor, das System reagiert auf diese
Währung nicht, auch wenn etwa Trendforscher das "management by love" beschwören. Die
Ausdifferenzierung des Wirtschaftssystems ist von dem Kommunikationsmedium
"Geld" abhängig. Ausgehend von der Knappheit der Güter werden die Operationen
des Wirtschaftssystems durch dessen Monetarisierung verstanden. Geld überbrückt aber
nicht die Differenz von egoistischen und altruistischen Motiven, verschmelzt weder
individuelle mit kollektiver Identität noch besitzt es intrinsische Qualitäten, wie sie
die Pädagogik bereithalten soll.
Auch für lernende Organisationen verwandeln sich
Störungen mithin nicht notwendig in Wachstum, mögen Störungen auch ideale
Lerngelegenheiten sein, wenn die Absorptionskraft des Systems ausreicht, um
Zusammenbrüche zu vermeiden. Die theoretische Anverwandlung des Chaos bedient den horror
vacui nicht organisierbarer Momente. Gegen Senge und andere bleibt zu vermerken, dass die
immer wieder bemühten fernöstlichen Paradigmen ja gerade nicht auf Ordnung zielen,
sondern die Differenzen von System und Umwelt auflösen. Zwar gibt es
mentalitätsgeschichtliche Gründe, warum die Aufweichung abendländischer Rationalität
aus der vormals "gelben Gefahr" ein Prinzip Hoffnung machte, um aus der fatalen
Fortschrittsdialektik zur Gleichgewichtsmystik zu kommen (29). Der Buddhismus ist aber
auch in seinen weichtheoretischen Transformationen keine brauchbare
Unternehmensphilosophie, weil Differenzen zwischen System und Umwelt zu Entscheidungen
verarbeitet werden müssen und nicht in unreflektierter Einheit der Differenz
zuzuschütten sind. Für die Anschlussstellen zum spätabendländischen Systemdenken sind
die Lerntheoretiker beweisfällig geblieben. Nun behauptet Goethe "Jeder lernt nur,
was er lernen kann" und das gilt selbstverständlich auch für die Theorie der
lernenden Unternehmen selbst. Beachtlich wäre dieser Paradigmenwechsel in Zukunft nur,
wenn die Autopädagogik zwischen notwendigem Lernen und Nichtlernen auf Systemebene
unterscheiden könnte, ohne den Ballast einer ungesicherten Motivationspsychologie,
fernöstlicher Weisheitslehren oder Amalgame aus Handlungs- und Systemtheorie anzubieten.
Fazit bleibt, dass die Konzeption des lernenden Unternehmens sich vor allem lernfähig
gegenüber der eigenen Utopie erweisen muss, um zu einer wirklichen Systemtheorie
aufzuschließen. Als systemtheoretisch getarnte Handlungstheorie muss sie mit den Zwecken,
die sie in das Unternehmen setzt, relativ erfolglos in diesem System bleiben. Ein
allgemeines Prosperitätsideal für Unternehmen, in denen Wirtschaften ganzheitlich mit
systemfremden Belangen harmoniert, ist beim jetzigen Stand der Theorie nicht zu
erwarten.
Goedart
Palm
Literaturangaben
(1) Weik, Karl E. (1985): Der Prozess des
Organisierens, Frankfurt/M, S. 375. (Originalausgabe 1969).
(2) Vgl. etwa Luhmann, Niklas (1988): Die Wirtschaft
der Gesellschaft, Frankfurt/M. Zum Verhältnis von Organisation und Gesellschaft ders.
(1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt/M., S. 826 ff.
(3) Vgl. die Literatur im Folgenden sowie:
Bea,F.X.(1995): Prozessorientierte Produktionstheorie und Lernen; in: Zeitschrift für
Betriebswirtschaft, Ergänzungsheft 3, Wiesbaden, S.35-47. Dürr,W. (1989):
Organisationsentwicklung als Kulturentwicklung: Einübung in die Wahrnehmung eines Ganzen;
Schriftreihe Wirtschaftsdidaktik (Bd.17), Baltmannsweiler. Heinen,E. et.al. (1987):
Unternehmenskultur: Perspektiven für Wissen-schaft und Praxis, München, Wien.
Hill,W. et.al. (1981): Organisationslehre (1): Ziele, Instrumente und Bedingungen der Organisation
sozialer Systeme; 3.Aufl., Bern, Stuttgart. Kline, Peter; Saunders, Bernard: Zehn Schritte
zur Lernenden Organisation Das Praxisbuch, Paderborn 1996. Marwitz, Klaus: Lean Company
Der freie Blick auf die neue Unternehmens-Vision. Junfermann, Paderborn 1993.
Reinhardt,R. (1995), Das Modell organisationaler Lernfähigkeit und die Gestaltung
lernfähiger Organisationen; 2.Aufl., Bildung und Organisation (Bd.2), Frankfurt/M. u.a.
Sell,R. (1991), Angewandtes Problemlösungsverhalten: Denken und Handeln in komplexen
Zusammenhängen; 4.Aufl., Berlin u.a. Schreyögg,G. und Noss, C. (1995), Organisatorischer
Wandel: Von der Organisationsentwicklung zur lernenden Organisation; in: DBW, Heft 2;
S.169-182. Schröder,H.-H. (1995), F&E-Aktivitäten als Lernprozesse:
Lernorientiertes F&E-Management; in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft,
Ergänzungsheft 3, Wiesbaden, S.49-77. Tarpy,R.M. (1975), Lernen: experimentelle
Grundlagen, Berlin u.a. Vahs,D. (1997), Alles ist im Fluss: Organisationelles Lernen hilft
bei der Bewältigung srtuktureller Veränderungen; in: io Management Zeitschrift,
Betriebswirtschaftliches Institut der ETH-Zürich (Hrsg.), Heft 4, S.74-79. Senge, Peter;
Kleiner, Art; Smith, Bryan; Roberts, Charlotte/Ross, Richard: Das Fieldbook zur Fünften
Disziplin, Stuttgart 1996. Stahl, Tomas; Nyhan, Barry; D'Aloja, Piera: Die Lernende
Organisation Eine Vision der Entwicklung der Humanressourcen, EUROTECNET Taskforce
Humanressources (»EURO-TECNET ist ein Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft zur
Förderung der Innovationen in der beruflichen Erstausbildung und in der beruflichen
Weiterbildung, um dem derzeitigen und künftigen technologischen Wandel und seinen
Auswirkungen auf Beschäftigung und Arbeit sowie auf die daraus hervorgehenden
Anforderungen an Qualifikationen und Fertigkeiten Rechnung zu tragen
«); 1993.
Werner,J. und Strzalka, Fr.-J. (1985), Perspektivisches Denken und Reflexionen beim Lösen
eines komplexen Problems; Psychologisches Institut der Ruhr-Universität Bochum,
Arbeitseinheit Kognitionspsychologie, Bericht Nr. 34/1985. Wildemann,H. (1995), Ein Ansatz
zur Steigerung der Reorganisationsgeschwindigkeit von Unternehmen: Die Lernende
Organisation; in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Ergänzungsheft 3, Wiesbaden,
S.1-23.
(4) Baecker, D. (1994): Postheroisches Management,
Berlin, S. 13.
(5) Hier liegt die theoretische Konfliktlinie
zwischem dem "Schöpfer der Autopoiesis" Humberto R. Maturana und Niklas
Luhmann, hierzu Bardmann, Theodor M.(1994): Wenn aus Arbeit Abfall wird. Aufbau und Abbau
organisatorischer Realitäten, Frankfurt/M, S. 148 ff.
(6) Bateson, G. (1992): Ökologie des Geistes,
Frankfurt/M, S. 366.
(7) Luhmann, N. (1984): Soziale Systeme,
Frankfurt/M, S. 447 ff. allgemein zu Lernbereitschaft und Lernbedingungen.
(8) Maturana, H.R (1985): Erkennen: Die Organisation
und Verkörperung von Wirklichkeit, 2. Auflage, Braunschweig/Wiesbaden 1985, S. 313.
(9) Luhmann, N. (1988): Die Wirtschaft der
Gesellschaft, Frankfurt/M., S. 56.
(10) Anderer Auffassung Weik, Karl E. (1985)
(Originalausgabe 1969): Der Prozess des Organisierens, Frankfurt/M, S. 357 f.
(11) Vgl. etwa Probst,G.J.B. (1987):
Selbst-Organisation. Ordnungsprozesse in sozialen Systemen aus ganzheitlicher Sicht,
Berlin u.a.
(12) Kutzner, E./Drinkuth, A.(o.J.): Lernende
Unternehmen. Lernen durch Beteiligung - Chancen der Gestaltung, www.igmetall.de/
materialien/I_untern.html.
(13) Strunk, A.(1997): Design in der Wildnis,
GL-DV-Consult 1997 Gerald Lembke, home.t-online.de/home/gerald.lembke.
(14) Marwitz, K.(1997): Soll uns die Flut im Schlaf
überraschen? NLP in lernenden Organisationen, lern-org.de -- Klaus Marwitz - 97.
(15) Kunz, G. C. (1997): Lernende Organisation -
Mode oder Methode?, lern-org.de -- Klaus Marwitz - 97.
(16) Fischer, H.-P. (1997): Die Lernende
Organisation in der Praxis eines Großunternehmens, GL-DV-Consult 1997 Gerald Lembke,
home.t-online.de/home/gerald.lembke.
(17) Willke, H.(1995): Systemtheorie III:
Steuerungstheorie. Stuttgart, Jena, S. 294.
(18) Zwischenbericht für den Europäischen Rat der
"Gruppe hochrangiger Sachverständiger für die wirtschaftlichen und sozialen
Auswirkungen industrieller Wandlungsprozesse vom 14.05.1998, S. 11 ff.
(19) Fuchs, J.(1992): Vom Taylorismus zur
Organisation. Wie Organisationen leben lernen, IBM-Nachrichten 42, Heft 308, S. 14-23.
(20) Orthey. F. M. (1997): Wer lernt da eigentlich?
Von der lernenden Organisation: Mythen, systemische Rationalisierung und schwindlige
Etiketten, GL-EDV 1997 Gerald Lembke, home.t-online.de/home/ gerald.lembke.
(21) Lindenberg, B.M. (1995): Wie unmodern sind
moderne Organisationen? Verwaltungsrundschau, Heft 3, 1995
(22) Luhmann, N. (1988): Die Wirtschaft der
Gesellschaft, Frankfurt/M., S. 319.
(23) Peters, T.J./Waterman, R.H. (1986): Auf der
Suche nach Spitzenleistungen. Was man von den bestgeführten US-Unternehmen lernen kann,
Landsberg am Lech.
(24) Zu diesen Kriterien vgl. Bardmann, Theodor
M.(1994): Wenn aus Arbeit Abfall wird. Aufbau und Abbau organisatorischer Realitäten,
Frankfurt/M, S. 353 ff.
(25) Senge, P. (1996): Die Fünfte Disziplin
Theorie und Kunst der lernenden Organisation, Stuttgart.
(26) Kunz , G. C. (1997): Lernende Organisation -
Mode oder Methode?, lern-org.de -- Klaus Marwitz - 97.
(27) Eberl, P. (1996): Die Idee des organisationalen
Lernens. Konzeptionelle Grundlagen und Gestaltungsmöglichkeiten. Bern, Stuttgart, Wien,
S. 230.
(28) Luhmann, N. (1988): Die Wirtschaft der
Gesellschaft, Frankfurt/M., S. 52 ff.
(29) Vgl. dazu Münch, R. (1991): Dialektik der
Kommunikationsgesellschaft, Frankfurt/M., S. 65 ff.
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