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Beleidigungen
und Arbeitsrecht
Nach der ständigen
Rechtsprechung des BAG können grobe Beleidigungen des Arbeitgebers und
seiner Vertreter oder Repräsentanten einerseits oder von Arbeitskollegen
andererseits, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für
den bzw. die Betroffenen bedeuten, einen erheblichen Verstoß des
Arbeitnehmers gegen seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme
darstellen und eine Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen gemäß
§ 1 Abs. 2 KSchG an sich sozial rechtfertigen. Eine allgemeine
Kritik an den allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen
einerseits und am Arbeitgeber und den betrieblichen Verhältnissen
andererseits ist, auch wenn sie - etwa in Betriebsversammlungen - überspitzt
und polemisch ausfällt, allerdings noch vom Grundrecht der
Meinungsfreiheit umfasst und kann deshalb nicht die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht
verletzen. Dies gilt insbesondere, wenn die Meinungsäußerung im Rahmen
einer öffentlichen Auseinandersetzung erfolgt. Nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts soll dann grundsätzlich eine Vermutung zu
Gunsten der Freiheit der Äußerung sprechen (BAG - 2 AZR 21/05).
Voraussetzung
jeder Abwägung ist weiterhin, dass der Sinn der Meinungsäußerung
zutreffend erfasst worden ist (BVerfG 25. August 1994 aaO; 16. Oktober
1998 - 1 BvR 590/96 - NJW 1999, 2262). Die Auslegung hat vom Wortlaut der
Äußerung auszugehen, darf aber den sprachlichen Kontext, in dem sie
steht, sowie die für den Empfänger erkennbaren Begleitumstände, unter
denen sie gefallen ist, nicht unberücksichtigt lassen. Die isolierte
Betrachtung eines bestimmten Äußerungsteils oder Satzes wird den
Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht
gerecht (BVerfGE 93, 266, 295). Einer Äußerung darf kein Sinn beigelegt
werden, den sie nicht besitzt. Bei mehrdeutigen Äußerungen muss eine
ebenfalls mögliche Deutung mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen
werden.
Ein
Beispiel: Das Landesarbeitsgericht Nürnberg 6. Kammer vom 13.01.2004 -
6 Sa 128/03 hatte sich mit den Bemerkungen eines aus dem Libanon
stammenden Arbeitnehmers während des Ansehens der Fernsehbilder vom
Terroranschlag vom 11. Sept. 2001 zu befassen. Die Äußerungen, "die
Anschläge seien zu begrüßen, damit die Amerikaner wüssten, wie Krieg
im eigenen Land sei," und "hierfür seien noch viel zu wenige
Menschen umgekommen" zeigten nach dem erkennenden Gericht keine
derart menschenverachtende Gesinnung, dass man bei einem Pflegehelfer im
Krankenhaus auf die Gefahr schließen könnte, dieser würde sich gegenüber
amerikanischen Patienten in irgendeiner Weise negativ verhalten. Der
Wegfall des Vertrauens in den Arbeitnehmer erscheint hierdurch nicht
gerechtfertigt. Für eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung
seien sie nicht geeignet, wenn sie größere Störungen des
Betriebsfriedens nicht verursacht haben.
Allerdings sollte man mit Äußerungen im Betrieb und in
der Öffentlichkeit immer sehr zurückhaltend verfahren, denn der
Nutzeffekt ist gering. Zu glauben, man könnte Arbeitgeber oder
Arbeitsgerichte über die breite Öffentlichkeit unter Druck setzen, ist
in den meisten Fällen völlig naiv. Es ist daher besser, solche
Bumerang-Effekte erst gar nicht auszuprobieren.
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Kündigung
und Auflösungsantrag wegen kritischer Äußerungen über den Arbeitgeber
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
in seinem Urteil vom
10.02.2010 (2 Sa 59/09) entschied über folgenden Fall: Der Kläger ist
seit 1986 bei der Beklagten, einem Großunternehmen der
Automobilindustrie, beschäftigt. Bis zum Ausspruch der ersten Kündigung
arbeitete er als Maschinenbediener. Jedenfalls im Jahr 2002 war der Kläger
Mitglied eines Solidaritätskreises, mit einer Kontaktadresse des Klägers
ein „Info“ veröffentlichte, in dem es u. a. hieß: „In dieser Sache
richten wir uns an die Arbeiter und die breite Bevölkerung. Wir greifen
die verschärfte Ausbeutung an und weisen die Angriffe auf die politischen
und gewerkschaftlichen Rechte zurück. Wir lehnen die menschenverachtende
Jagd auf Kranke ab.“
Auf diese dem Kläger zuzurechnenden
Äußerungen stützte die Beklagte im Dezember 2002 die erste und danach
bis August 2007 weitere vier Kündigungen. Im Laufe der langjährigen
(gerichtlichen) Auseinandersetzungen der Parteien, die bis zum
Bundesarbeitsgericht gingen, wiederholte der Kläger in abgewandelter Form
in einem Internetbeitrag die bereits 2002 gemachten Äußerungen. Damit
begründet die Beklagte nunmehr die fünfte Kündigung und beantragt
hilfsweise die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer
Abfindung. Die 2. Kammer des LAG Baden-Württemberg hat mit Urteil vom
10.02.2010 das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert, die 5. Kündigung
vom 23.08.2007 für unwirksam erklärt und den Auflösungsantrag des
Arbeitgebers zurückgewiesen. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht ist
nicht zugelassen worden. Die Berufungskammer ist der Auffassung, dass die
verhaltensbedingte Kündigung der Beklagten unwirksam ist. Der dem Kläger
zuzurechnende Internetbeitrag ist vom Grundrecht der freien Meinungsäußerung
gedeckt und verletzt nicht seine arbeitsvertragliche
Rücksichtnahmepflicht. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
dass die Äußerungen des Klägers im Zusammenhang mit den (gerichtlichen)
Auseinandersetzungen der Parteien zu sehen sind. Die Äußerungen des Klägers
rechtfertigen auch nicht die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen
Zahlung einer Abfindung auf Antrag des Arbeitgebers. Eine Gesamtbewertung
der Äußerungen und des Verhaltens des Klägers lässt nicht erkennen,
dass eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit der
Parteien nicht mehr zu erwarten ist (Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg,
Urteil 10.02.2010 (2 Sa 59/09)).
Im Übrigen kommt es für die Abwägung
zwischen der Bedeutung der Meinungsfreiheit und dem Rang des durch die
Meinungsfreiheit beeinträchtigten Rechtsguts immer auf die
Schwere der Beeinträchtigung des betroffenen Rechtsguts an. Bei einer
Meinungsäußerung, die im Rahmen einer öffentlichen Auseinandersetzung
erfolgt, spricht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
grundsätzlich eine Vermutung zugunsten der Freiheit der Äußerung (BVerfG
9. Oktober 1991 - 1 BvR 1555/88 - BVerfGE 85, 1; BVerfG 25. August 1994 -
1 BvR 1423/92 - NJW 1994, 2943; 16. Oktober 1998 - 1 BvR 590/96 - NJW
1999, 2262). Mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gilt, dass
eine Störung des Betriebsfriedens überhaupt nur dann als Kündigungsgrund
dienen kann, wenn diese konkret im Betrieb auftritt oder aufgetreten ist
(Ständige Rechtsprechung seit BAG vom 17.03.1988, 2 AZR 576/87, EzA §
626 BGB n.F. Nr. 116).
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Die "Palette"
unserer Tätigkeiten: Über Kündigungsschutzklagen
hinaus haben wir Klagen auf Lohn
und Gehalt,
Schadensersatz, Schmerzensgeld
(vor allem in Mobbing-Fällen),
Karenzentschädigungen,
ordnungsgemäße Zeugniserteilung und
gegen Abmahnungen betrieben.
Insofern
sollte Ihr Vertrauen in unsere Tätigkeit nicht unbegründet sein.
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